[Kurzgeschichte] Der Kalender

Heute ist die Geschichte, die ich zu erzählen habe, eher kindlich. (Ich häng aktuell irgendwie durch, und in der Zeit sind kindliche Geschichten nicht nur leichter für mich zu schreiben, sondern auch eher das, was ich selbst gern lesen will.)

CN: Eigentlich keine, höchstens Essen (eher trinken, nicht-alkoholisches)

Die kleine Hexe hatte keine Lust. Jeden Tag musste sie in die Schule, bei Sonne, Regen oder Schnee. Sie musste Levitation lernen, die Kunst, Dinge oder sich selbst fliegen zu lassen. Und Zaubertränke. Und Morphen, das ist, wenn man sich selbst oder etwas anderes im Aussehen verändert. Und natürlich Kräuterkunde, denn was half es, zu wissen, dass in den Schlaftrunk Baldrian gehörte, wenn man letztlich Baldrian nicht von Salbei unterscheiden konnte?

Zu gerne hätte die kleine Hexe aber einfach mal frei gehabt. Sie konnte sehen, wie andere Wesen nachmittags über die Wiesen tollten und Ball spielten, oder im Winter einen Schneemann bauten. Für all das hatte die kleine Hexe aber keine Zeit. Denn jeden Tag musste sie nicht nur in die Schule, sie kam auch immer mit so vielen Hausaufgaben zurück, dass sie es gerade noch schaffte, zu essen, bis sie danach schon einschlief. Und die Hausaufgaben einfach mal nicht zu machen? Nein. Sie konnte es sich nicht erlauben, nicht gut in der Schule zu sein. Denn einer Hexe, die ihre Kunst nicht beherrscht, werden die Kräfte genommen. Und so gern die kleine Hexe auch mal so unbeschwert sein wollte, wie all die nichtmagischen Leute, wollte sie doch nicht ohne Magie leben.

Also schleppte sie sich auch heute wieder in die Schule und machte sich schon morgens darauf gefasst, dass sie den Nachmittag über einem Berg von Hausaufgaben würde verbringen müssen.

Rektorin Bärenbrei schaute die Klasse streng an. Vermutlich konnte sie einfach nicht anders gucken, denn noch nie hatte jemand sie lächeln sehen – oder wenigstens wütend. Sie hielt einen Kalender hoch und deutete auf einen Eintrag. „In den USA ist heute der Tag der Kräuter, wie ihr sehen könnt. Nun, wir sind nicht in den USA. Aber wir werden ihn dennoch feiern – indem ihr mir jetzt helft, neue Kräuterbeete für den Schulgarten auszuheben.“

Ein gemeinschaftliches Stöhnen ging durch die Klasse. Aber es half ja doch nichts und so standen sie alle auf, ließen ihre Sachen auf ihren Stühlen und machten sich auf, nach draußen in den Schulgarten zu gehen.

Dabei warf die kleine Hexe im Vorbeigehen einen Blick auf den Kalender. Tatsächlich stand da, dass in den USA heute der Tag der Kräuter sei. Aber da stand noch etwas. 

Sie nahm den Kalender mit und stopfte ihn sich erst einmal unter den Umhang und folgte der Klasse in den Garten. Sie musste das geschickt anstellen. Also strengte sie sich an beim Ausheben des Beetes und passte gut auf, als Rektorin Bärenbrei erklärte, welche Kräuter gut zusammen passten – und, dass Minze immer eine Wurzelsperre brauchte, wenn der Garten nicht bald nur aus Minze bestehen sollte.

Erst, als die Rektorin zwar immer noch streng schaute, aber eigentlich mit der Leistung der Klasse zufrieden sein musste, zog die kleine Hexe den Kalender heraus. „Wissen Sie…“, fing sie vorsichtig an. „In den USA ist heute auch der Keine-Hausaufgaben-Tag.“ Sie sagte das so beiläufig und unschuldig, wie sie konnte.

Rektorin Bärenbrei seufzte – und schaute sogar dabei noch streng über ihre Brillengläser. Dann nickte sie. „Nun gut, dieses eine Mal wird es wohl nicht schaden. Und ihr seid von der harten Arbeit hier draußen sicher auch ziemlich müde. Heute gibt es dann mal keine Hausaufgaben.“

Und es stimmte. Die kleine Hexe war tatsächlich sehr müde und legte sich erst einmal hin, als sie nach Hause kam. Aber sie wachte noch am Nachmittag wieder auf, und endlich konnte sie mit den anderen Wesen mal Ball spielen. Sie lernte auch, wie man einen Kranz aus Gänseblümchen basteln kann. Und sie traute sich bis zum dritten Ast des alten Kletterbaumes, bevor ihr mulmig wurde! Hach, das war ein schöner Tag.

Am nächsten Morgen stellte die kleine Hexe fest, dass sie viel motivierter in die Schule ging und dann auch konzentrierter mitarbeitete. Und so ging es nicht nur ihr, sondern der ganzen Klasse. Selbst Rektorin Bärenbrei merkte das.

Nun konnte sie die Hausaufgaben natürlich nicht ganz weglassen. Es ist schon wichtig, das Wissen, das man im Unterricht gelernt hat, noch einmal zu verfestigen. Aber einmal die Woche zumindest erließ die Rektorin ihnen die Hausaufgaben – und sie alle merkten, wie nicht nur die Klasse fröhlicher und ausgeglichener wurde, sondern auch die Rektorin selbst. 

Es ist zu viel, zu behaupten, sie hätte nun auch ab und an gelächelt. Das nicht. Aber ab und an schaute Rektorin Bärenbrei jetzt neutral drein.

Und die kleine Hexe? Die spielte jetzt einmal die Woche ausgiebig mit ihren neuen Freunden. Und bald kletterte sie den ganzen Baum hinauf. Als sie dann endlich alt genug für Besenflugunterricht war, wurde ihr in der Höhe auch gar nicht mehr mulmig.

Und die Minze? Na ja, da hatte irgendwer dann wohl doch nicht aufgepasst, und bald fand sich Minze nicht nur fast überall im Kräutergarten, sondern auch im angrenzenden Wald, im nahen Park, auf dem Spielplatz,… Zum Glück schmeckt Pfefferminztee ja gut und nun würde daran auch nie wieder Mangel herrschen.


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One thought on “[Kurzgeschichte] Der Kalender

  1. […] war der Monat. Über 10k sind dazugekommen, teils im Adventskalender für die Familie, teils in der Kurzgeschichte hier auf der Seite, teils auch schon die für den nächsten Monat, aber vor allem eben auch noch […]

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