Die Reiter – Eine Halloweengeschichte

Happy Halloween, liebe Lesenden.

Da ich es dieses Jahr irgendwie nicht hinbekommen habe, beim WritingFriday mitzumachen (vielleicht nächstes Jahr wieder, denn mir fehlt die Schreibroutine, die das mit sich brachte), hier eine eigentlich schon etwas ältere Geschichte. Letztes Jahr habe ich sie beim Halloweenwettbewerb der Schreibnacht eingereicht. Dieses Jahr ist sie auch für euch zu lesen:

Die Reiter

 

Langsam näherte sich die Sonne dem Horizont und tauchte alles in ein rötliches Licht. Was bei wolkenlosem Himmel golden gewirkt hätte, brach heute auf eine Art, die den Himmel brennend und infernalisch aussehen ließ. Doch die Bewohner des kleinen Dorfes, dessen Lage selbst die Einwohner spöttisch mit ‚am Hinterteil der Welt‘ beschrieben, dachten sich nichts dabei. Solche Sonnenuntergänge gab es immerhin häufig und sicher auch überall auf der Welt.

Sie sahen den Himmel nicht als ein Zeichen drohenden Unheils, sondern nur als zufällige, gut passende Untermalung dieser Nacht. Immerhin war heute Halloween und selbst in das kleine, verschlafene Dorf war der Brauch schon vorgedrungen.

Überall kamen Leute aus ihren Häusern und zündeten Laternen an, die sie aus Kürbissen geschnitzt hatten. Nun erleuchteten teils fürchterlich verzerrte, teils doch eher gutmütig wirkende Fratzen die schmalen Straßen und der feurige Schein des Himmels spiegelte sich nun auch auf der Erde wider.

Bald war das Dorf voll von bunten Gestalten. Kinder liefen als Geist oder Zombie von Tür zu Tür, erbaten Süßigkeiten und Obst, während Erwachsene entweder auf der anderen Seite der Türen standen und Leckereien bereit hielten, oder mit sanftem Lächeln ihren Kindern zu schauten. Auch sie trugen bunte Kleidung, vielfältiger als die der Kinder. Serienhelden standen neben Krankenschwestern, und auch hier gab es Figuren des klassischen Horrors.

Viele von ihnen zeigten nicht offen ihr Gesicht, so dass nicht auffiel, dass sich Fremde unter die Bewohner mischten. Wesen mit Tentakeln oder Hörnen, Stirnwülsten, nur einem Auge oder Dutzenden.

Sie wandelten unter den Bewohnern und niemand bemerkte, wie sie in dunklen Ecken lauerten, um einen alleine vorbeikommenden Erwachsenen in die Schatten zu ziehen.

Keiner bemerkte, wie die Zahl der Skelette, die zur Zier an Bäumen hingen, zunahm, wie viele davon nicht aus Plastik bestanden und manche Zahnabdrücke zeigten.

Erst das Hufgeklapper fiel auf.

Ein kleiner Junge, gekleidet als Zombie, drehte sich erstaunt um. Natürlich kannte er Pferde, doch im Dorf gab es keinen Reitstall, deshalb verwunderte es ihn, dass jemand noch so spät durch die Straßen ritt.

Ihm entgegen ritt nicht nur ein Reiter, sondern vier. Keiner schien sie zu bemerken, keiner außer ihm. Doch sie ritten geschlossen nebeneinander durch das Dorf. Jeder von ihnen hielt eine Waffe in der Hand.

Doch einer der Reiter konnte sie kaum halten, weil er sich wieder und wieder vor Husten krümmte. Ein weiterer konzentrierte sich nur auf seinen Proviant. Eine dritte Hand bestand aus nichts weiter als Knochen. Nur einer hielt seine Hand ruhig, fest, aber nicht verkrampft. Die brennenden Augen starr auf sein Opfer gerichtet.

Ein blasses Wesen kam gerade aus einer Gasse heraus, wischte Blut von seinen Lippen und blickte sich um. Als es die Reiter sah, blieb es stehen und fiel auf die Knie. Es flehte um sein Leben.

Der kleine Junge verstand nicht ganz. Zögernd ging er auf die Reiter zu. “Bitte entschuldigen Sie?”, begann er.

Leise glaubte er, ein erstauntes Aufkeuchen zu hören. Und etwas, was klang wie: “Er kann uns sehen?”

“Sind Sie die vier apokalyptischen Reiter? Ich habe in der Kirche von Ihnen gehört”, sprach der Junge weiter.

Der Hustende rutschte aus dem Sattel seines Pferdes und kniete sich vor den Jungen. Zwischen zwei rasselnden Atemzügen nickte er.

“Kommen Sie, um uns alle zu töten und das Ende der Welt zu bringen?”

Diesmal schüttelte der Reiter den Kopf. Doch, obwohl er zu einer Antwort anhob, ließ der Husten ihn nicht zu Wort kommen.

Das Skelett erbarmte sich und kam ebenfalls zum Jungen.

“Nein, wir sind nicht wegen euch hier. Wir wurden nie euretwegen geschaffen. Wer das behauptet, lügt. Der Mensch kennt Hunger, Krankheit, Krieg und Tod ohne unser Zutun. Die einen mehr, die anderen weniger, doch ihr habt immer Angst davor. Ihr braucht uns nicht. Eure Hölle ist hier auf Erden, ist euer Wissen darum, dass ihr nie sicher seid.”

Ein knöcherner Zeigefinger streckte sich zu der wimmernden Gestalt, die noch immer vor den Reitern kniete. “Diese Wesen aber, sie sterben nicht an Alter. Der Krieg der Menschen berührt sie nicht. Nie haben sie auch nur eine Erkältung. Und hungern müssen sie nicht, laben sie sich doch an Menschen, die es viel zu häufig auf Erden gibt. Nein, wir bringen nicht das Ende eurer Welt. Wir bringen nur das Ende ihrer.”

Der Reiter mit den glühenden Augen lachte. “Mein werter Kollege hier übertreibt. Er mag es gern dramatisch. Wir treiben diese Wesen nur zurück in ihre Welt, damit sie nicht in dieser bleiben, wenn die Grenze sich schließt. Du weißt doch, was heute ist, oder, Junge?”

“Halloween.”

“Die Nacht der Toten. Die Nacht, in der die Grenze zwischen der Menschenwelt und der der Dämonen dünn wird. In der sich die Welten vermischen. Diese Mischung beenden wir.”

Der kleine Junge überlegte einen Moment. “Dann seid ihr also in Wirklichkeit gute Reiter der Verdammnis?”

Nun lächelte auch der Reiter, der gerade bereits das dritte Sandwich in sich stopfte und immer noch verhungert aussah. “Wir sind weder gut, noch böse. Wir sind einfach. Wir kommen nicht, um euch zu retten. Wir kommen nur, um das zu richten, was falsch ist.”

Der Junge schwieg so lang, dass die Reiter sich schon wieder daran machten, mit ihrer Arbeit fortzufahren, da erhob er noch einmal die Stimme: “Darf ich mit euch kommen?”

Die vier Reiter zögerten. Sie bildeten einen Kreis und tuschelten unter sich. “Das haben wir doch schon mal probiert. Chaos war ein Reinfall. Dämonen lieben das Chaos”, gab das Skelett zu bedenken.

“Na, dann habt ihr doch die Lösung”, antwortete der schon wieder kauende Reiter. “Wer das Chaos liebt, fürchtet die Ordnung.”

Es gab allgemein zustimmendes Gemurmel.

“Bist du ordentlich, Junge?”, fragte das Skelett schließlich.

“Ja, sehr. Meine Mama hat immer gesagt, dass die Taschengeldfee nur zu den Kindern kommt, die immer alles aufräumen.”

“Eine sehr kluge Frau, deine Mutter. Ja, ich glaube, wir könnten einen Lehrling gebrauchen.”

So wurde der Junge auf das Pferd des Reiters gehoben, der ihm nun auch einen Apfel hinhielt.

Mit ihnen machte sich der Kleine auf seine erste Reise. Er warf keinen Blick mehr zurück auf sein Dorf. Nicht auf seine Eltern. Nächstes Jahr würde er sie ja wieder sehen, wenn ihre Gerippe erneut vom Deko-Komitee aufgehängt wurden.

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