Guten Morgen,
da es zu warm ist, sich auf große Werke zu konzentrieren, habe ich mich an einer Kurzgeschichte für die Schreibnacht-Aufgabe des Monats (bzw. der Monate) gesetzt. Hier nun das Ergebnis zur Anweisung: Urbane Legenden mal anders.
Immer nur Lemuren. Alles, was ich im Leben zu sehen bekomme, sind Lemuren. Haarige Biester, die einen anstupsen, oder gar mein Zuhause zum Wackeln bringen. Wisst ihr, wie schwindlig einem wird, wenn einem die ganze Sicht verwackelt? Und das bei acht Augen? Es dauert ewig, diese Kopfschmerzen wieder loszuwerden.
Garstige Biester, diese Lemuren. Keiner von denen möchte einfach nur spielen. Oder kuscheln. Die haben mich alle nicht lieb.
Entsprechend froh bin ich, als jemand kommt und mein Zuhause mitnimmt. Ich verstecke mich, immerhin weiß ich ja nicht, wo die Reise hingeht. Und ich will nicht riskieren, dass man mich von meiner Palme stößt und ich ohne Schutz hierbleiben muss. Aber letztlich ist es sicher überall besser als hier.
Zumindest denke ich das, bevor die Rüttelei losgeht. Alles wackelt. Aber diesmal schüttelt keiner den Stamm meiner Palme. Nein, der ganze Boden wackelt mit.
Ich rolle mich zwischen den Blättern ein und versuche zu schlafen, mehr kann man bei dieser Übelkeit eh nicht tun.
Als ich wieder aufwache, habe ich eine Gänsehaut unter meinem Fell. Mein zarter, schwarzer Flaum steht richtig zu Berge. Es ist eiskalt hier und immer wieder kommt ein unangenehmer Luftzug, verbunden mit einem seltsamen Geräusch. Wenn Lemuren zwei leichte Steine aneinander schlagen, klingt es ähnlich. Irgendwie wie ein ‚Bing‘.
Immer wieder wird es auch laut. Ich schaue vorsichtig heraus und sehe viele fremde Pflanzen um mich herum. Bin ich in einem neuen Urwald?
Dann fällt mein Blick auf große, haarlose Biester auf zwei Beinen, die Geräusche von sich geben. Laut, tief und dröhnend ist der eine, zwei andere eher heller, aber auch viel zu laut. Sie kommen näher. Schnell verstecke ich mich wieder und schon wird mein kleines Heim erneut durchgeschüttelt.
Als ich das nächste Mal aufwache, ist alles still. Dann aber setzt der Regen ein, ganz ohne Vorwarnung. Nicht einmal dunkel ist es geworden? Wie kann denn Regen ohne Wolken fallen?
Jetzt trifft mich der erste Tropfen und ich kreische auf. Das ist vielleicht peinlich, aber so kaltes Wasser habe ich ja noch nie erlebt.
Plötzlich hört der Regen auf und mein Heim wird geschüttelt. Dieses Mal wieder nur um Stamm. Eines dieser haarlosen Wesen benimmt sich genauso wie diese verdammten Lemuren. Aber vielleicht hat es mich ja nur gehört und will nachschauen, ob es mir gut geht?
Vorsichtig krieche ich heraus und knabbere leicht an dem Wesen. Zur Begrüßung.
Es gibt einen ohrenbetäubenden Schrei von sich und schüttelt mich ab. Nein, das ist kein nettes Wesen, also krabbel ich schnell wieder in Sicherheit. Aber nicht zurück in meine Palme, noch nicht. Es soll nicht wissen, dass ich da wohne. Stattdessen fliege ich in einen dunklen Spalt zwischen einem großen Ding, das wie Holz riecht und einem noch größeren, massiven Ding, das irgendwie bunt ist und diese kleine Welt umgibt.
Das Wesen verfolgt mich nicht, stattdessen gibt es jammernde Laute von sich. Ich linse aus meinem Versteck hervor.
Zwei weitere Wesen kommen herbei, durch ein Loch im Bunten. Aber auch sie jagen mich nicht. Sie scheinen sich um das erste Wesen zu kümmern. Sie sind größer als es. Da sie es nicht auffressen, nehme ich an, dass es sich hier um ein Jungtier mit seinen Eltern handelt. Also doch wie Lemuren, da kümmern sich die Großen auch um die Kleinen. Welch eine Energieverschwendung, sind doch Jungtiere schon beim Schlupf in der Lage, auf sich selbst aufzupassen, zumindest bei uns.
Keiner achtet mehr auf mich, also ziehe ich mich erst einmal in mein neues Versteck zurück. Hier liegen tote Falter in grauem, weichen Zeug. Sehr schön, Nest und Snacks. Vielleicht lässt es sich hier ja doch leben.
Es wird dunkel und dann wieder hell. Als ich das nächste Mal hervorschaue, liegt das Jungtier auf einer Erhöhung und regt sich nicht mehr. Jetzt stoßen die alten Wesen Jammerlaute aus. Ist ihr Jungtier verendet? Es sieht jedenfalls leblos aus, als andere Wesen kommen, es hochheben und forttragen.
Einige Male wird es jetzt hell und dunkel und das Jungtier kommt nicht zurück. Es stört mich nicht, war ja kein netter, kuschliger Freund für mich. Hatte mich auch nicht lieb.
Irgendwann aber höre ich Getrappel vieler Füße. Und dann steht da jemand vor mir. Eine wunderschöne Spinne.
„Endlich wieder zuhause“, sagt sie und reibt sich ein Bein, in dem noch Spuren von Beißwerkzeugen zu sehen sind. „Ob Mama und Papa sich freuen werden, mich zu sehen?“
Leave a comment