[Kurzgeschichte] Die Leere zwischen den Sternen

Es ist mal wieder Weihnachten und so habe ich in diesem Monat natürlich eine Weihnachtsgeschichte für euch. Diesmal eine Kurzgeschichte, die eventuell auch für Kinder geeignet ist.

Und damit: Frohe Weihnachten!

CN: Essen (erwähnt), Körperflüssigkeiten (erwähnt)

Lukas schaute sich ein letztes Mal auf der Erde um, soweit er sie sehen konnte. Wirklich Sehenswertes war um ihn herum nicht zu finden, immerhin befand sich der Startplatz auf einer endlos wirkenden, sandigen Ebene. Aber auch diese Einöde bescherte ihm einen Kloß im Hals. Er riss sich von dem Anblick los und nahm die Hand seiner Mutter. Es fühlte sich so endgültig an. Dabei sollten es nur acht Monate sein, die sie auf Teestube verbrachten. Was für ein alberner Name, fand Lukas. Aber seine Mutter hatte ihm erklärt, dass der Stern Teegarden hieß. Eigentlich nach dem Leiter des Entdeckungsteams. Aber als man die Planeten in der habitablen – das hieß lebensfreundlichen, bewohnbaren – Zone entdeckt hatte, hatte man es lustig gefunden, diese als Kaffeehaus und Teestube zu bezeichnen.

Bevor die ersten Kolonist*innen kamen, hatten die beiden nur b und c geheißen. Entsprechend gab es vermutlich auch ein a, so gut konnte Lukas das Alphabet schon. Aber ob der auch so einen seltsamen Namen hatte? Vermutlich Biergarten, dachte er und erinnerte sich an Ausflüge mit Opa, die immer total langweilig gewesen waren, außer, dass er dort Pommes essen durfte.

Acht Monate also. Seine Mutter sollte dort etwas erforschen und sein Vater meinte, malen könnte er eh überall und die Leute in der Kolonie würden sich vielleicht freuen, wenn sie bei all der harten Arbeit auch mal etwas Schönes bekamen. Lukas fand die komischen, düsteren Striche nicht schön, aber Papa sagte, das sei … espressionistisch? Ob er deshalb dabei immer Espresso trank?

Und so musste Lukas mit. Vielleicht hätte ihn das normalerweise auch gefreut. Niemand aus seiner Klasse war schon im Weltall, nicht mal die reiche Jule, die immer die neueste Technik hatte. Aber ausgerechnet jetzt fliegen? Das bereitete ihm Bauchschmerzen.

“Mama, bist du dir auch wirklich sicher, dass der Weihnachtsmann mich auch auf dem Schiff finden kann?”, fragte er also noch einmal, während er die metallene Rampe hoch ging, die kleine Hand fest in die seiner Mutter gekrallt.

“Aber ja doch, Schatz. Und wenn nicht, dann wartet bestimmt auf Teestube etwas auf dich.”

Damit war das Thema für seine Mutter erledigt. Für Lukas aber klang das, als würde sie es selbst nicht so genau wissen. Und so sah er dem eine Woche dauernden Flug nur mit noch mehr Bauchgrummeln entgegen. Eine Woche. Ausgerechnet über Weihnachten. Hätten sie nicht diese eine Weihnachtswoche noch mit der Reise warten können? Nur, um wirklich sicher zu gehen?

Am Abend lag er lange wach. Neben seinem eigenen Bauchgrummeln machte das tiefe Vibrieren der Antriebe seinen Bauch zittern und bisher hatte er sich noch nicht daran gewöhnen können. Er stand auf. Vielleicht würde der Bauch weniger zittern, wenn er pinkeln war. Dann war immerhin weniger drin, oder? Und wer schon mal gesehen hatte, wie Wasser in einem Glas sich bewegte, wenn man nur leicht den Tisch anstieß, der wusste auch, dass Wasser ganz besonders schlimm wackeln konnte. Weniger Pipi im Bauch klang also nach einer ganz tollen Idee.

Er schlich auf Zehenspitzen zur Tür seiner kleinen Kabine, da hörte er seinen Vater.

„Siehst du, und deshalb hab ich gesagt, wir sollten dem Jungen gar nicht erst solche Flausen in den Kopf setzen. Ist mir egal, ob der Weihnachtsmann in deiner Familie Teil einer normalen Kindheit war. Das ändert nichts daran, dass es einen solchen Unsinn gar nicht gibt.“

Schnell kroch Lukas wieder in sein Bett und presste sich das seltsam harte Kissen auf die Ohren. Eine kleine Träne rann seine Wange hinab. Konnte das wahr sein? War der Weihnachtsmann gar nicht echt?

Die nächsten Tage waren furchtbar. Lukas schleppte sich nur mit Mühe durch den Ablauf an Bord. Frühstück von 8 bis 9, wenn die Crew schon im Dienst war. Dann Kinderbetreuung mit Mittagessen, und ab 16 Uhr Familienzeit. In der erzählte sein Vater nur von seinen neuesten Bildern, seine Mutter von ihrer Forschung und Lukas schwieg.

Lukas schwieg jetzt oft. Was sollte er auch sagen? Er wusste ja nicht einmal, was er denken sollte. Auf einmal kam ihm alles so grau vor. Hatte er sich vor Kurzem noch auf Weihnachten gefreut, war ihm jetzt alle Lust darauf vergangen. Und wenn das schon eine Lüge war, wie oft hatten seine Eltern im noch nicht die Wahrheit gesagt? Dabei hatten sie ihm doch immer und immer wieder klar gemacht, dass man nicht lügen durfte. Das war wohl auch eine Lüge?

Alarmsirenen schrillen auf.

“Achtung, hier spricht der Kapitän. Alle auf die Gefechtsstationen. Passagier*innen werden gebeten, sich zwecks Übersicht in den Aufenthaltsraum zu begeben.”

Seine Mutter kam näher. Aber sie griff nicht nach Lukas‘ Hand, sondern hob ihn einfach hoch und trug ihn, während sein Vater hinter ihnen her lief.

Ein Ruck ging durchs Schiff und sie strauchelten. Lukas glaubte schon, zu fallen, aber da hatte sich seine Mutter mit dem Rücken an die Wand kippen lassen, von der sie sich jetzt wieder vorsichtig abstieß und ihren Weg fortsetzte.

“Wir werden geentert! Achtung, wir werden geentert”, rief eine panische Stimme über die Lautsprecher. Beinahe hätte Lukas nicht erkannt, dass das immer noch der Kapitän war, der jetzt ganz anders klang.

Dann baute sich im Zwielicht des Korridors eine große, breite Gestalt vor ihnen auf.

Sie schritt auf sie zu und schwere Stiefel klirrten regelrecht auf dem Metallboden.

Lukas fühlte, wie seine Mutter ihn absetzte und dann hinter sich schob. Und sogar sein Vater kam nach vorne, um mit seiner Frau eine Mauer zwischen dem Eindringling und Lukas zu bilden. Seit wann war sein Vater denn so mutig?

Da sie jetzt nicht mehr auf ihn achteten, suchte sich Lukas eine kleine Lücke zwischen seinen Eltern, um hindurch schauen zu können. Die große Gestalt trat gerade unter eine der wenigen Lampen im Korridor.

“Der Weihnachtsmann!”, entfuhr es dem Jungen, bevor er sich selbst stoppen konnte.

Auf der anderen Seite der Elternmauer ging die Gestalt in die Knie. Ohne den Sack auf den Schultern, sah sie längst nicht mehr so groß und bedrohlich aus.

“Hallo Lukas, ich habe gehört, du hattest Angst, ich würde dich nicht finden?”

Noch bevor seine Eltern ihn aufhalten konnten, nutzte Lukas die Lücke zwischen den Beinen seines Vaters aus, um auf die andere Seite zu schlüpfen. Er nickte eifrig.

“Aber, aber. Brave Menschen, die an mich glauben, finde ich überall. Die gehen mir nicht verloren.” Dann holte der Weihnachtsmann ein kleines Paket aus seinem Sack und reichte es Lukas. Dann noch eines für Lukas‘ Mutter. Dann wandte er sich zum Gehen. Für Lukas sah es so aus, als würde er dabei extra langsam sein. Und dann hielt der Weihnachtsmann inne, trat auf Lukas‘ Vater zu und drückte auch ihm ein kleines Päckchen in die Hand. “Ich nehme an, ich bin doch kein Unsinn?”

Beim verdatterten Gesicht vor ihm lachte der Weihnachtsmann tief auf. “Und nun entschuldigt mich, im Aufenthaltsraum warten noch mehr Leute auf mich. Und dann sind da draußen noch viel mehr Schiffe, die ich besuchen muss. Frohe Weihnachten.”

Und tatsächlich, erst jetzt bemerkte Lukas, dass heute ja Heiligabend war. Und er bemerkte noch etwas: Dass seine Mutter seinen Vater mit verschränkten Armen anschaute, wie sie sonst nur dreinblickte, wenn Lukas nicht auf sie gehört hatte und feststellen musste, dass sie letztlich mit ihren Warnungen recht hatte.

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