[Kurzgeschichte] Die Kraft der Musik …

Hallo ihr Lieben,

ich hatte ja angekündigt, dass ich versuchen will, einmal im Monat eine kleine Kurzgeschichte zu posten, und mich dabei an den kuriosen Feiertagen der Welt zu orientieren.

Nun, heute ist sowohl der Tag der Blockflöte in Deutschland, als auch Tag der Zimmerpflanze in den USA, also …

Genre: Fantasy (vielleicht unterschwellig Humor)
CN: Keine

Pflanzen können auf Musik reagieren, heißt es. Zumindest hatte Pierre das wieder und wieder gehört, als er ein Kind war. Schon in den 1970ern hätte es eine alte Schallplatte gegeben, die den Pflanzen gewidmet war und so etwas wie einen Kultstatus erreicht hatte. Aber als Kind hatte er sich nicht für die verstaubten Geldbäume und Kakteen seiner Mutter interessiert und ihr gar nicht richtig zugehört, wenn sie wieder davon erzählt hatte, wie sie diese oder jene Pflanze behandelte.

Erst in der Pandemie hatte der Student seine erste Zimmerpflanze gekauft. Ein trauriges, kleines Ding aus dem Supermarkt. Aber im Lockdown hatte er etwas gebraucht, was ihn erdete. Was konnte da besser funktionieren als etwas mit Erde? Das war damals sein Gedankengang gewesen. Vielleicht hatte die Einsamkeit ihn auch an die Grenzen seines Verstandes gebracht – genau konnte er das heute nicht mehr sagen.

Was seine Mutter ihm damals gesagt hatte, war ihm aber nicht eingefallen, als er diese erste Pflanze, eine kleine Orchidee, mit nach Hause gebracht hatte. Nicht, als einige Küchenkräuter folgen. Nicht, als Grünlilie, flammendes Käthchen, Einblatt und schließlich sogar ein Benjamin in seiner winzigen Studentenbude einlebten.

Erst, als er in den Semesterferien in sein Elternhaus kam und seiner Mutter endlich dabei half, den Keller auszuräumen, wie sie es schon seit so vielen Jahren geplant hatten. Als er seine alte Blockflöte in einer der vielen Kisten fand, den Staub abwischte und versuchsweise reinpustete. Der Ton war immer noch klar, als ob all die Jahre im feuchten Keller dem Holz nichts hatten anhaben können. Als er die Flöte in den Händen hielt und langsam drehte, fiel Pierre wieder ein, wie seine Mutter ihn angehalten hatte, weiter zu üben. „Spiel weiter, Schatz“, hatte sie gesagt. „Die Pflanzen lieben Musik und hören dir gerne zu.“ Damals hatte er das für albern gehalten, jetzt aber?

Zuhause angekommen goss Pierre seine Lieblinge erst einmal. Extra mit entkalktem Wasser, mit Ausnahme von denen, die ein wenig Kalk im Boden besonders zu schätzen wussten. Dann zog er die Blockflöte aus seinem Rucksack. Pierre wischte sie noch einmal mit einem Taschentuch ab – nach all den Jahren konnte man nie sicher genug gehen – und setzte sie an die Lippen. Hänschen Klein war ein guter Anfang, nicht wahr? Immerhin gab es wohl niemanden, der dieses einfache, harmlose Lied nicht mochte.

Pierre schaute seine Pflanzen an, während er spielte. Natürlich glaubte er nicht, dass es sofort eine Reaktion geben würde. Vielleicht würden sie schneller wachsen, wenn er ihnen regelmäßig vorspielte, oder mehr Blüten ansetzen – diejenigen, die blühen konnten. Vielleicht bildeten sie auch mehr mögliche Ableger, die er auf Pflanzenbörsen gegen andere Schätze eintauschen konnte.

Aber dafür musste er erst einmal spielen. Also wechselte er zu Danny Boy und versuchte, besonders viel Gefühl in die Melodie zu legen.

Auf einmal öffnete seine Grünlilie die Augen. Das war falsch, oder? Grünlilien sollten keine Augen haben. Ein Ficus Benjamini sollte nicht aus seinem Topf steigen können, um sich auf Wurzeln durch den Raum zu bewegen, oder?

„Bei allen Gottheiten, kann mal jemand diesen Krach ausstellen?“, fragte nun der Lavendel – und das flammende Käthchen kam dem sofort nach und stopfte ein paar ihrer Blüten von unten in die Flöte.

„Dafür schuldest du mir aber was. Ich habe dir hier meine Kinder geopfert.“

„Als ob du den Lärm nicht auch furchtbar gefunden hättest.“

Der Benjamin war derweil schon aus der Tür, als die Grünlilie noch einmal innehielt. „Du warst echt nicht schlecht. Für einen Menschen. Aber dein Musikgeschmack war schon immer furchtbar. Und jetzt das? Das hält selbst die stärkste Dryade nicht aus.“

Eine Pflanze nach der anderen verließ seine Wohnung. Die eine oder andere schüttelte Pierre noch kurz die Hand – ein merkwürdiges Gefühl – oder hatte warme Worte für ihn, neben der harten Kritik an seinem Flötenspiel.

Überall lag Erde. Der Fußboden war voll von ausgefallenen Blättern und Scherben von Blumentöpfen, die nicht schnell genug hatten abgestreift werden können. Mit einem Seufzen schnappte Pierre sich Besen, Handfeger und Kehrblech und machte sich daran, das Chaos wieder zu beseitigen. Da fiel ihm auf, dass zwei Töpfe noch immer gefüllt waren. Basilikum und ein Zimmerefeu waren noch da.

„Und ihr? Ihr ertragt mein Flötenspiel?“, fragte er und schüttelte über sich selbst den Kopf. Jetzt redete er schon mit Topfpflanzen. Vielleicht sollte er den Hausmeister fragen, ob es hier ein Gasleck gab, das ihn halluzinieren ließ?

„Ich kann das aushalten“, antwortete das Efeu. „Solange du weiter aufpasst, dass das Wasser auch wirklich richtig temperiert ist? Und der da…“ Eine Ranke deutete zum Basilikum. „Das ist keine Dryade, nur eine normale Pflanze. Kümmere dich nicht drum. Das Ding hält sogar ein Blasorchester aus, das Zwölftonmusik spielt.“ Dann rieb sich das Efeu die Blätter. „Also gut, jetzt, wo die anderen weg sind … Was hältst du davon, wenn wir beide einkaufen gehen? Du hast Töpfe, du hast Erde … und ich hab keine Lust, alleine hier zu bleiben. Alleine mit einem Menschen, stell dir das mal vor…“

Pierre beschloss, dass dies der beste Zeitpunkt für eine gnädige Ohnmacht war.

Und nachher ging es dann wohl ins Gartencenter.

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