#CreativeSummer 4 – Kafkas Mikrowelle

Guten Morgen und willkommen zum CreativeSummer-Prompt von … gestern. Ja, soweit ist es schon gekommen. Alle dazwischen habe ich entweder bei Twitter direkt oder als Fanfiction beantwortet – und Fanfiction darf ja nicht auf eine Seite, mit der man theoretisch auch Geld verdienen will. (Wobei ich annehme, dass Tommy Krappweis da nicht so radikal gegen vorgehen würde, wie gewisse transfeindliche Harry Potter-Erfinderinnen oder Vampir-Interviewende … *hust*)

 

Für heute allerdings ganz klar eine

Triggerwarnung: Depression, Selbstmordgedanken, Schmerzen

 

Du erwachst eines Morgens als Mikrowelle. Wie machst du auf dich aufmerksam? 

 

Diese Nacht hatte ich nicht gut geschlafen. Gut, das tat ich nie, aber irgendetwas war in dieser Nacht anders gewesen. Anstatt den üblichen Schmerzen am Ohr oder im Rücken konnte ich mich nicht daran erinnern, in dieser Nacht überhaupt etwas gefühlt zu haben. Nicht mal Harndrang und das war wirklich eine Seltenheit. Aber irgendetwas war dennoch ganz und gar nicht so, wie es sein sollte. 

 

Naja, ich würde es schon durch den Tag schaffen, dachte ich, und wollte das Auge aufschlagen. Nichts passierte. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf dem linken Auge dasselbe sah, wie auf dem nichtexistierenden rechten: Gar nichts. Manch einer stellt sich Blindheit ja so vor, dass man einfach nur die rote oder schwarze Innenseite des Lids sieht, je nach Lichteinfall. Aber wo kein funktionierender Sehapparat ist, da sieht man schlicht gar nichts, nicht einmal das nichts selbst. Da ist kein Sehen. Und das hatte ich jetzt auch noch links? 

 

Ich versuchte, nach dem Auge zu tasten, doch auch Finger schien ich keine zu haben. Zumindest konnte ich sie nicht spüren, nicht willentlich bewegen. 

 

Ich versuchte, zu schreien. Offenbar hatte ich auch keine Ohren mehr, oder zumindest funktionierten sie nicht. Ich bemerkte aber, dass Schallwellen durch meinen Körper liefen. Also war ich nicht völlig gelähmt? Und ich musste auch noch Laute von mir geben können. Allerdings waren die Schallwellen viel zu kurz für den Schrei, den ich ausstoßen wollte, gewesen. Sie gehörten eher zu einem kurzen Geräusch. 

 

Jedes einzelne Körperteil, das ich eigentlich haben sollte, probierte ich nun aus. Nichts davon war mehr für mich erreichbar. Ob sie überhaupt noch da waren? Ich vermochte es nicht, zu sagen. Bis ich bemerkte, dass ich neue Körperteile zu haben schien. Ich konnte etwas bewegen, aber immer nur im Kreis. Also nicht so wie meine Schulter, die dank Skoliose weit unter ihrem normal angedachten Bewegungsradius blieb. Und noch etwas konnte ich. … Pupsen? Nein, das war es nicht ganz. Aber ich machte Wärme und Geräusche, die ich wieder nur anhand von Schallwellen bemerkte. Und dann war da noch etwas. Ein Ding, dass man drehen konnte. Aber das konnte ich nicht steuern. 

 

Und dann öffnete man mich. Ich hatte auch eine Tür? Nun wusste ich, was ich war. Das Ding, das ich drehen konnte, musste der Motor für den Drehteller sein. Wärme und Geräusche kamen von der Mikrowellenstrahlung und dem Organ, dass sie hervorrief? Und das Ding, was ich nicht selbst drehen konnte, musste der Schalter für die Zeit sein. Ich war eine Mikrowelle. Schlimmer noch, so, wie der Drehteller zu eiern schien, war ich UNSERE Mikrowelle. Ein Gerät, das in etwa so alt war, wie ich selbst. Also wie ich, als ich noch ein Mensch war. War ich denn noch Mensch? Änderte sich das, nur, weil ich in etwas Anderem feststeckte? 

 

Ich verwarf die Frage für den Moment und überlegte lieber, was ich jetzt tun konnte. Unser altes Gerät hatte kein Display, also war direkte Kommunikation unmöglich. Blieb nur noch das Ping am Ende des Erwärmens. Warum nur hatte ich damals nicht aufgepasst, als mein Vater für seine Prüfung im Morsen gelernt hatte? SOS kannte ich, ja. Aber wie sollten meine Eltern denn begreifen, dass ihre Mikrowelle SOS morste, weil da zufälligerweise ihre Tochter drinsteckte? Ihre depressive Tochter, die schon einmal darüber nachgedacht hatte, ihr Leben zu beenden? Wenn ich den ganzen Tag nicht auftauchte, sie in mein Zimmer kamen und mich nicht fanden, würden sie doch eher denken, dass ich schlicht nicht mehr sei. Dass irgendwann irgendwo vielleicht meine Leiche auftauchen würde. Nicht, dass sie gerade in mir ein Würstchen erhitzten. 

 

Nein, es war hoffnungslos. 

 

Oder? 

 

Im Leben als Mensch hatte ich nur gekostet. Ich hatte hier und da im Haushalt geholfen, natürlich, aber einen wirklichen Nutzen hatte ich nie gehabt. Und keine Perspektive, dass sich das je ändern würde. 

 

Hier aber … hier hatte ich einen Zweck. Das Leben als Mikrowelle war zwar langweilig, aber ich hatte einen echten, greifbaren Nutzen. Und noch besser, alles, was mich im Leben je belastet hatte, meine Behinderungen, ständige Schmerzen, der andauernde Harndrang, all das war nun vorbei. Vielleicht war es also besser so? Vielleicht konnte ich mich auf diese Weise damit abfinden, es eh nicht ändern zu können. 

 

Und so begann mein neues Leben. Als Mikrowelle. 

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