Es ist Sommer und zu warm, um den PC anzumachen – mit Ausnahme der frühen Morgenstunden.
Und vor allem zu warm, um zu denken, oder gar kreativ zu sein.
Also was sollte ich anderes machen, als plötzlich in einem Rutsch eine Geschichte darüber zu schreiben, dass einer Autorin zu warm ist, um kreativ zu sein?
Genre: Slice of Life mit einem Hauch SciFi und eventuell sogar Solarpunk
CN: Klimawandel
Nanette Bandersnitch – natürlich nicht ihr richtiger Name – war eine der gefeiertsten Autor*innen der aktuellen Zeit. Beinahe jedes ihrer Bücher wurde ein Bestseller in den meisten Ländern dieser Welt. Die meisten waren längst verfilmt worden, oft sogar in Starbesetzung.
Es wäre nicht übertrieben, zu sagen, dass Millionen Menschen ungeduldig ihr jeweils nächstes Buch erwarteten.
Besonders jetzt, wo sie, statt den Einzelromanen, mit denen sie dereinst angefangen hatte, oftmals Reihen schrieb.
Reihen, deren Bände in letzter Zeit gern mit Cliffhangern endeten.
Ihre Fans warteten. Würde der berühmte Detektiv Vanderdiek nun, wo er gerade den bösen Magister Mott gestellt und in Zweikampf getötet hatte, es schaffen, sich an der Klippe festzuhalten, an deren Rand Mott ihn mit einem letzten Tritt befördert hatte, bevor er endgültig verstarb? Oder würde seine Detektei an seinen Lebenspartner, den etwas zu netten, aber klugen Professor Smith übergehen? Wie würde der wohl mit dem Tod seines Liebsten zurechtkommen?
Jeden Tag tauchten neue Theorien im Netz auf. Zunächst nur darüber, wie Vanderdiek sich würde retten können. Dann Fanfiction, die die verschiedenen Möglichkeiten auslotete. Bald aber auch Theorien, warum der nächste Band so lang auf sich warten ließ.
Da, schließlich, eine Nachricht auf dem Blog der Autorin.
„Liebste Lesende,
ihr merkt es sicher gerade selbst, zumindest diejenigen, die auf der selben Erdhalbkugel wohnen, wie ich: Es ist zu warm.
Während es früher kein Problem war, auch im Sommer zu schreiben, notfalls eben in Notizbücher, wenn es zu warm für den Computer war, merke ich den Klimawandel immer mehr. Bei dieser Hitze kann ich einfach nicht denken. Die Arbeit an meinem neusten Buch verzögert sich daher auf unbestimmte Zeit – denn wer weiß, wie lange die Hitze diesmal anhält. Teilweise kann man ja selbst im November noch in kurzen Hosen draußen herumlaufen.
Der Verlag war so gütig, mir die unbegrenzte Verlängerung zu genehmigen. Ich hoffe auch ihr, meine treuen Fans, könnt das verstehen und seid mir nicht zu böse. Ich weiß, wie enttäuschend diese Nachricht für euch sein muss.
Auf hoffentlich bald, und mögen wir endlich Abkühlung haben.
Eure Nanette“
Es war nicht die Nachricht, die die Fans sich erhofft hatten. Kein Veröffentlichungsdatum für den nächsten Band. Nicht einmal Sneak Peeks, wie die Autorin sie früher ab und an veröffentlicht hatte.
Nur Ungewissheit.
Bald ging ein Raunen durchs Netz. Zuerst überlegte man, wie man der Autorin helfen könnte. Crowdfunding für eine Klimaanlage und die nötigen Solarpanels, um diese halbwegs umweltschonend zu betreiben? Aber nein, Bandersnitch hatte Geld, sicher hatte sie so etwas schon längst. Und, dass Klimaanlagenluft abgestanden roch und nicht unbedingt beim Denken half, das wussten alle. Richtige Frische hatte Luft eben nur, wenn nicht durch Maschinen gezwängt wurde.
Und ihr einen Umzug finanzieren? Nein, auch dafür hatte sie sicher selbst genug Geld. Und wo sollte sie denn hin? Selbst Alaska und Sibirien wurden im Sommer warm und immer wärmer. Und in der Antarktis durfte man nicht siedeln.
„Wenn wir wissen wollen, ob Vanderdiek überlebt, müssen wir was gegen den Klimawandel unternehmen“, hieß es schließlich. Anfangs wurden solche Aussagen noch belächelt. Was gegen den Klimawandel unternehmen, das würden sie doch schon seit Jahren versuchen. Und die Verzögerung eines Buches würde da jetzt sicher nichts an der Lage in Politik und Wirtschaft ändern. Und selbst wenn, man könnte nur dafür sorgen, dass es nicht viel schlimmer wurde. Rückgängig machen konnte man den bisherigen Klimawandel immerhin nicht.
Dann veröffentlichten mehr und mehr Autor*innen Statements dazu, dass es ihnen genauso ging. Nicht nur Buchveröffentlichungen verzögerten sich, auch Serien, Filme, Computerspiele. Mehrere Milliardenindustrien drohten, in eine Krise zu geraten.
Und noch immer keine Neuigkeit zum Schicksal von Vanderdiek!
Die Menschen wurden unruhig, immer mehr gingen auf die Straße, sogar Leute, die bis vor kurzem noch über die Klimakleber von vor vielen Jahren gemeckert hatten.
Die ersten Großkonzerne gaben nach, beschleunigten ihre Entwicklungen hin zu CO2-neutraler Produktion. Förderten Technologien, die bisher zwar möglich waren, aber sich finanziell nicht rechneten, wie die Hausanstriche, die Photovoltaik betreiben konnten. Auch die Produktion von Solaranlagen wurde wieder angekurbelt, um den Bedarf zu decken. Profitorientierung war da kein Thema mehr, nun, wo die Staaten in der verzweifelten Hoffnung, das Volk ruhig zu stellen, immer mehr in Klimaschutz investierten.
Kaum ein Dach, ein Fensterrahmen, eine Hauswand blieb ohne Photovoltaik. Und wo das nicht ging, wählte man Fassaden- und Dachbegrünung.
Es entstanden auch überall grüne Inseln und Gemeinschaftsgärten, um das Mikroklima zu verbessern, und mehr Nahrung auf Arten anzubauen, die Klima und Böden nicht so stark belasteten wie traditionelle Landwirtschaft.
Aber das reichte nicht. Man konnte den Klimawandel laut den Forschenden nun langfristig auf einem vergleichsweise niedrigem Niveau halten, wenn man den aktuellen Trend beibehielt. Aber einmal angerichteter Schaden war nicht wieder gutzumachen.
Oder?
Es fing mit einem Crowdfunding von Fans an. CO2 aus der Luft zu entnehmen, war schon lange möglich, nur bisher zu teuer gewesen – und es mangelte Ideen, was man dann mit dem Gas tun sollte. Aber sicherlich würde ein Think Tank aus Forschenden aus aller Welt Ideen finden können, richtig? Und mehr Anlagen bauen, um die Atmosphäre zu entlasten?
Als endlich der langersehnte nächste Band von Detektiv Vanderdiek herauskam, hatte sich das Ganze sich schon verselbstständigt und immer mehr Firmen und Staaten förderten den Think Tank ihrerseits.
Klimaträgheit war die eine Sache, mit der zwar die Forschenden, nicht aber die Bevölkerung gerechnet hatte.
Auch, als immer mehr künstliche Diamanten auf den Markt kamen, als erst Dome auf der Erde und dann sogar auf Mond und Mars Pflanzen in kohlendioxid-reicherer Luft anbauten, dauerte es lange Jahre, die schon in Gang gesetzten Prozesse auf der Erde zu beenden.
Da half selbst die Entdeckung umweltfreundlicher Kühlmittel kaum, auch wenn man es nun schaffte, damit und mit erneuerbaren Energien, einzelne Bereiche leicht herunterzukühlen.
Es half nur die Zeit. Und, dass die Leute dranblieben. Denn, obwohl sie längst vergessen hatten, was den Ausschlag gegeben hatte, hatte das Momentum der Änderung noch nicht nachgelassen.
Und irgendwann, Jahrzehnte später, dauerte es nicht mehr so lange, bis neue Bücher, Filme, Spiele auf den Markt kamen. Ein neues Normal pendelte sich ein.
Pünktlich zur vermutlich schon zehnten Verfilmung des letzten Vanderdiek-Bandes.
In dem Professor Smith, alarmiert durch Anwohner*innen nahe der Klippe, rechtzeitig vor Ort war, um den Arm seines strauchelnden Partners zu greifen und ihn vom Abgrund fort zu ziehen. Nach diesem Schock würden sie sich nun endgültig zu Ruhe setzen, vielleicht sogar ein Kind adoptieren, beschlossen sie.
Bis die Leiterin des Kindergartens ihrer Tochter spurlos verschwand. Ein neuer Fall für Detektiv Vanderdiek.
Wie immer, wenn euch gefällt, was ihr gelesen habt, ihr Geld übrig und wirklich keine bessere Verwendung dafür habt, freu ich mich über einen (Eis)kaffee bei Ko-Fi.
Ansonsten teilt gern, denn ich nutze Zählmarken der VG Wort und … auch, wenn ich nicht glaube, dass ich je genug Klicks kriege, um auch nur einen Cent rein dadurch zu verdienen, könnt ihr ja mal versuchen, mir zu beweisen, dass ich falsch liege.
3 thoughts on “[Kurzgeschichte] Cliffhanger”
Meinen Klick für die Zählmarke hast du 🙂 Ich mochte die Idee, dass die Leute sich endlich zu Protesten & Veränderungen aufraffen, damit das langersehnte Buch, Film, Song erscheint.
Andrea Hahnfeld
Oh, bitte entschuldige, dass ich dich erst so spät gesehen habe.
Und vielen vielen Dank 🙂
(Ja, ich glaube, das dürfte der einzige Weg sein, damit sich die Leute, besonders Politiker*innen endlich aufraffen.)
Britta
[…] dahin könnt ihr, falls noch nicht geschehen, die Kurzgeschichte aus diesem Monat lesen und wir lesen uns im nächsten Monat […]
August 2024 – Britta Redweik