Der rote Draht

Frohe Weihnachten.

Triggerwarnungen: Bombe, Lebensgefahr

 

 

“Nur noch fünf Minuten, dann geht die Bombe hoch”, brüllst du in das Mikro deines Headsets. “Beeilt euch mit der Evakuierung.”

Du verfluchst den Tag, an dem du diesen Job angenommen hast. Aber das machst du jedes Mal, wenn du gerufen wirst – und bisher ist es immer gut gegangen. Sonst wärst du ja nicht hier.

Diesmal wurde die Bombe auf dem Dach eines Hochhauses entdeckt, mitten in der Innenstadt. Auf einem Dach! Entweder ist der Bombenleger ein Vollpfosten, oder sein Ziel ist in einem der obersten Stockwerke. Die Druckwelle kann natürlich das gesamte Gebäude beschädigen, und so groß, wie die Bombe ist, auch noch so einige Häuser im Umfeld. Aber das ändert nichts daran, dass Bomben am Fuß eines Hochhauses weit effektiver sind.

“Konzentrier dich”, hörst du es aus deinem Headset dringen. Als ob du die Erinnerung brauchen würdest. “Statusbericht?”

“Ich nehme jetzt die Verkleidung ab.” Du entfernst vorsichtig ein Stück Plastik, dass die Drähte versteckt hielt und fluchst leise. “Der Mistkerl, der das Ding gebaut hat, hat doch ernsthaft alle Drähte rot verkleidet.” Nicht, dass man sich hundertprozentig auf die Farben verlassen könnte. Einfach auf gut Glück einen Draht durchzuschneiden, war lebensmüde, selbst, wenn er noch so eine hübsche Farbe hatte.

Aber diese Bombe gab dir nichts, womit du arbeiten könntest. Alle Drähte endeten in einem Block schwarzer Masse … vom Gefühl her gefärbter Heißkleber. So konntest du nicht erkennen, ob die Drähte wirklich genau dort endeten, wo sie in die Masse eintraten. Und den ganzen Block auf einmal rauszureißen, mit allen Drähten? Das konnte sie vielleicht entschärfen. Aber das konnte sie auch sofort zur Explosion bringen.

“Habt ihr alles geräumt?”, fragst du ins Mikro und wartest auf die Bestätigung. “Ich werde sehr wahrscheinlich gleich draufgehen. Aber wenn es nur die geringste Möglichkeit gibt, diese Explosion zu verhindern, muss ich sie nutzen, oder?” Jetzt sprichst du mehr mit dir als mit irgendjemand Anderem. Du holst tief Luft und nimmst eine Zange, greifst mit ihr den Heißkleberblock.

Noch zehn Sekunden.

Neun.

Du schließt die Augen.

Acht.

Du ziehst.

Einen Moment lang ist alles grell, selbst durch deine geschlossenen Lider hindurch. Die Bombe ist explodiert.

Du wartest auf den Schmerz, doch der will sich nicht einstellen. Ist alles so schnell gegangen? Bist du tot? Heißt das, dass es ein Leben nach dem Tod gibt?

Vorsichtig öffnest du deine Augen und siehst das Gehäuse der Bombe vor dir. Das Display, auf dem eben noch die Sekunden runtertickten, ist nun schwarz, und nur gen Himmel ist die Bombe geborsten.

Etwas Kaltes fällt auf deine Hand. Schnee? Eben gerade waren noch fünf Grad über Null und strahlend blauer Himmel, wo kommt …

Das Display leuchtet wieder auf. Du bist zu verwirrt, um einen Satz zurückzumachen, aber diesmal zeigt es eh keine Zeit an, die abläuft. Es sind sechs Buchstaben. Hohoho.

 

 

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