[Kurzgeschichte] Bei der Macht der Gießkanne

Heute ist der internationale Ehrentag der Pflanze und morgen der Tag des Gärtnerns in den USA. Dafür habe ich eine Geschichte für euch – zwar nicht neu geschrieben, aber neu für euch.

Allerdings muss ich sagen, dass ich es dieses Jahr wohl nicht durchhalte, regelmäßig Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Ich muss schon wieder auf alte Texte, die ich noch auf Halde habe, zurückgreifen, weil ich neben dem Geheimprojekt gerade nur noch Energie für Fanfiction habe. Also fürchte ich, alle zwei Monate etwas für euch zu posten, halte ich nicht durch. (Aber vielleicht hab ich ja irgendwann wieder Ideen und es kommt noch eine Geschichte daher.)

Aber bis dahin, wünsche ich euch erstmal viel Freude mit der Geschichte.


Genre: Fantasy/Kinder
CN: Tod eines Familienmitglieds (erwähnt)

Als die Nachricht kam, dass der Bauplan für die neue Landebahn auch den alten Apfelbaum mit einschloss, war die Beunruhigung in der Bevölkerung groß. Selbst die ältesten Bürger der Stadt hatten nie eine Zeit ohne diesen Baum erlebt. Für die meisten von ihnen war er so etwas wie ein Familienmitglied. Schnell stand daher fest, dass sie die Entscheidung der Landesregierung nicht einfach so hinnehmen wollten. Während die Erwachsenen die Wege gingen, die für sie natürlich klangen, und in Wirklichkeit nur aus Papierkram und Warten bestanden, glaubte Lilian sich zu erinnern, bei ihrer Oma etwas gesehen zu haben, das vielleicht hilfreich sein konnte. So nahm sie schnell ihr Schüler*innenticket und machte sich auf den Weg zum Haus ihrer Oma in der Nachbarstadt. Dort angekommen ging sie zielstrebig in die Küche. Wenn sie sich recht erinnerte, war das, was sie suchte, in einem von Omas alten Backbüchern. Natürlich half Oma ihr dabei, die Menge an Bücher zu durchforsten. In einem so langen Leben hatten sich sehr viele von ihnen angesammelt, teils gekauft, teils selbst geschrieben oder geerbt. Stunde um Stunde wälzten sie nun schon durch die Seiten, als Lilian endlich fand, was sie suchte. Aber das hier hatte doch gar nichts mit Backen zu tun.

Sie blätterte im Buch vor und zurück. Die meisten dieser Anweisungen waren tatsächlich Rezepte. Und jedes einzelne von ihnen war merkwürdig. ‚Wie man Mut erschafft‘, las sie, und: ‚Die perfekte Zuckerspeise zur Vorbeugung von verfaulenden Zähnen.‘

„Oma, was ist das hier?“, fragte Lilian.

„Ein Buch, das von Generation zu Generation in unserer Familie weitergegeben wird. Von Frau zu Frau. Nun, da Papier mit der Zeit vergeht, Feuchtigkeit und Wärme es angreifen, wird es wohl eher von Generation zu Generation neu abgeschrieben.“

Und tatsächlich. Von Dunst der Küche ohne Abzugshaube war dieses Buch schon so angegriffen und klebrig, dass es mit Sicherheit bald wieder auf neues Papier übertragen werden musste, wenn auch die nächste Generation noch darin lesen können sollte.

Aber dafür hatte Lilian zumindest jetzt noch keine Zeit. Die Baupläne lagen noch im Rathaus aus, noch konnte man Widerspruch einlegen. Und wenn dieser Prozess abgeschlossen worden war, würde es bis zum Baubeginn sicher auch noch dauern. Aber das, was Lilian hier gelesen hatte, würde dauern. Das konnte man nicht an einem Tag schaffen, ja, vielleicht nicht einmal in einem Jahr. Sie durfte keine Zeit verlieren.

Das meiste, was sie brauchte, konnte sie sogar bei Oma finden. Lilian hatte ihren Opa gar nicht mehr kennen gelernt, er war vor über zwanzig Jahren gestorben. Aber sein großer Schuppen im Garten war noch da. Opa war Schmied gewesen, noch richtig von Beruf. Gegen Ende hatte er nur noch Hufeisen gemacht, und auch die meist nur noch angebracht und nicht mehr vom Rohmaterial an selbst geschmiedet. Längst war alles maschinell günstiger anzufertigen. Aber er hatte seine Geräte nie verkauft, auch nicht, als er sich zur Ruhe setzte, während seine deutlich jüngere Frau weiterarbeite.

Aber Lilian wusste nicht, wie man damit umging. Und Oma… naja. “Nein nein, das ist viel zu gefährlich, Lilimaus. Ich kann dich da nicht ohne Aufsicht eines echten Schmiedes reinlassen.”

Also googelte Lilian. Im Buch stand, dass sie all das selbst machen musste, wenn es gelingen sollte. Also konnte sie niemanden bitten, ihr das abzunehmen. Stattdessen musste sie sich einen Lehrmeister suchen. Oder eine Lehrmeisterin? Da, bei Erlebnisgeschenken! Eine örtliche Goldschmiedin bot einen Workshop an, bei dem man lernen konnte, eigene Ringe und Ketten herzustellen.

Lilian schrieb ihr eine E-Mail und erklärte ihr Problem, dann schlachtete sie ihr Sparschwein. Eigentlich sollte das Geld für ihren Führerschein sein, aber das hier war wichtiger und der Führerschein eh noch ein paar Jahre hin. Dann würde sie eben das Angebot von Frau Simmelfing annehmen und ab und an in deren Garten arbeiten, um das Loch im Sparschwein wieder zu stopfen. Aber das hier ging gerade einfach vor.

Die Theorie war ziemlich langweilig und Lilian konnte sich nicht wirklich alles merken, was nun gefalteten Stahl von anderem unterschied und welches Metall bei welcher Temperatur was tat. Das war für ihre Zwecke gerade auch gar nicht nötig. Sie musste nur wissen, wie man Gussformen herstellte und wie man diese danach nutzte.

Der Kurs ging über mehrere Wochenenden, dann endlich hatte Lilian ein Zertifikat für Oma, damit diese ihr auch glaubte, dass sie wusste, was sie tat. Und dann erst ging die eigentliche Arbeit los.

Lilian suchte eine gute Stelle, maß die Strecke des Weges aus, berechnete, wie viel Material sie brauchen würde. Besser nicht zu knapp rechnen…

Der Widerspruch war gescheitert und die Baumaßnahmen sollten in zwei Monaten beginnen, als Lilian sich in einer Vollmondnacht aus dem Haus schlich. Ihren Rucksack hatte sie wohlweißlich nicht im Haus gelagert, denn die vielen kleinen Metallgefäße machten zu viel Krach, als dass sie ihre Eltern damit nicht geweckt hätte. Nur die Wasserpistolen hatte sie von drinnen mitnehmen müssen.

Endlich kam sie beim alten Apfelbaum an und öffnete ihren Rucksack. Sie zog eine der winzigen Gießkannen hervor, füllte sie mit der Wasserpistole auf und stellte sie dann etwa einen Meter vom Baum entfernt auf den Boden. Zehn Meter weiter die nächste, und noch eine und noch eine, bis sie endlich auf der Wiese vor der Kirche angekommen war. Hier würde niemand irgendetwas bauen wollen. Wenn sie genug Abstand zur Kirche einhielt, würde ein Baum hier gar nicht stören.

Ohne sich umzudrehen, ging Lilian nach Hause. Das hatte so im Rezept gestanden. Bäume mochten es nicht, beobachtet zu werden. Aber mit den kleinen Opfergaben konnte man sie dazu bewegen, sich ein neues Heim zu suchen. Wenn sie denn alles richtig gemacht hatte.

Tatsächlich, am nächsten Morgen stand der Baum nicht mehr an seinem alten Platz. Stattdessen spielten Kinder auf der Kirchwiese und dekorierten den Baum mit buntem Krepp, während die leichtgläubigeren von ihnen von einem göttlichen Wunder sprachen. Lilian schmunzelte in sich hinein. Nein, eine Göttin war sie wohl nicht. Aber mit Omas Hilfe konnte sie vielleicht eine passable Hexe werden. Und vielleicht, ganz vielleicht sollte sie auch über eine Karriere als Kunstschmiedin nachdenken. Aber alles zu seiner Zeit. Jetzt erst einmal musste sie sich in Gartenarbeit üben. Und da gab es auch noch ein Buch, das abgeschrieben werden wollte.


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