Heute ist das „Festival of Life in the Cracks“, also das Fest der Pflanzen, die sich zwischen Gehwegplatten, in Mauerlücken und anderen eigentlich lebensfeindlichen Stellen ihren Weg bahnen, sowohl als erste Frühlingsboten, als auch dafür, dass sich das Leben schlicht seinen Weg bahnt.
Und trotzdem entführe ich euch weg von der Erde und ab ins All. Hmmm…
CN: Diskussion eines potenziellen Genozids
„Wir stehen hier also vor der Versammlung, um zu entscheiden, wie mit den Menschen umgegangen werden soll.“ Die große, lilahäutige Person, die nach irdischen Maßstäben am ehesten einem Delfin mit Ziegenfüßen nahe kam, blickte in die Runde. „Dabei haben wir drei verschiedene Anträge auf dem Tisch.“ Mit der Schnauze scrollte der Ziegendelfin durch den Text auf einem Tablet. „Antrag 1 ist der auf Vernichtung der menschlichen Spezies als invasive Art, die den Planeten bedroht. Würde die antragstellende Partei bitte vortreten und dies begründen?“
„Ich verwehre mich gegen die Wortwahl.“ Eine gelatine Kreatur kroch zum Podium. „Wie Sie alle dem Dossier entnehmen können, das ich Ihnen geschickt habe, sind die Menschen zwar durchaus eine native Art des Planeten, aber sie waren einst regional deutlich gebunden. Über die Jahrtausende breiteren sie sich aber nicht nur aus, anstatt sich den bestehenden Ökosystemen in ihren neuen Gebieten anzupassen, wählten sie auch noch den Weg, die Ökosysteme zu verändern. Nun, das haben wir alle in unseren Entwicklungen einmal, aber die Menschen gingen dabei viel aggressiver vor, als man von einer gutartigen Kreatur erwarten würde. Viele andere Arten des Planeten wurden nachhaltig ausgerottet, natürlich gewachsene Strukturen auf immer zerstört. Und dank eines kleinen Fehlers einer Mitgliedswelt unserer Gemeinschaft…“ Das Gallertwesen hatte nicht einmal sichtbare Augen und man konnte dennoch erahnen, zu welchem Tisch es blickte. „Haben die Menschen zu allem Überfluss auch noch die Inspiration für technologische Entwicklungen erhalten, für die sie nicht nur zum Beginn der sogenannten industriellen Revolution sozial noch lange nicht bereit waren, sie haben diese Entwicklung auch in den Jahrhunderten, die seit dem verstrichen sind, noch immer nicht nachgeholt. Noch immer zerstören sie ihre Umwelt, töten einander wegen Ressourcen, die bei oft nur fiktiven Wert haben, wie dieses Geld, und glauben immer noch, dass Wachstum ein Zweck sei, der alle Mittel heilige, ohne zu merken, dass sie dabei selbst ihre eigene Lebensgrundlage auf Dauer zerstören. Wir müssen daher davon ausgehen, dass die Menschen eine Form von Parasit sind, den es zu beseitigen gilt, damit eine andere, besonnenere Spezies auf Dauer den Planeten besiedeln kann.“
Der Ziegendelfin wippte nickend die Schnauze auf und ab. „Danke dafür. Und ich entschuldige mich für meine unbedachte Wortwahl. Nun denn, der zweite Antrag fordert, dass die Gemeinschaft ihren Fehler von damals wieder gutmacht, indem wir nach der technologischen Kontamination der Menschen nun auch helfen, ihre soziale Entwicklung auf den Stand zu bringen, auf dem sie nun eigentlich längst sein müsste. Sie wissen, dass dies eine Verletzung der wichtigsten Regeln ist, Gromm vom Planeten Xirx?“
Die angesprochene Wesenheit kam zum Podium, wackelnd auf den Spitzen hunderter Tentakeln.
„Wir glauben, dass dadurch, dass unser Schiff vor einigen Jahrhunderten eine Sonde auf dem Planeten verlor, die Regel ohnehin schon verletzt ist, und es damit keine weitere Verletzung wäre, wenn wir… sozusagen den Eingriff, der stattgefunden hat, komplettieren. Wie schon im ersten Antrag vorgetragen, hat dieser bedauernswerte Unfall ernsthafte Konsequenzen für Planet und Spezies gehabt. Aber wenn die Menschen ihre technologische Entwicklung schon nicht alleine so weit gebracht haben, wie können wir dann erwarten, dass sie ohne… nennen wir es Inspiration, eine andere, viel ganzheitlichere Entwicklung durchmachen können? Ich denke nicht, dass wir eine Spezies aufgrund unseres Versagens zum Tode verurteilen können, ohne vorher zumindest alles daran gesetzt zu haben, unsere eigenen Fehler zu berichtigen.“
„Das ginge auch mit einem elektromagnetischen Puls, der einfach alle Technik durchbrät“, rief jemand aus dem Plenum.
Gromm schnaubte. „Nicht nur würden wir damit ebenso Leben aufs Spiel setzen, da einige Menschen auf Dinge wie künstliche Beatmung angewiesen sind. Wir liefen damit auch Gefahr, den Planeten selbst, mit all seinen Arten, zu zerstören. Bedenken Sie, liebe Mitglieder dieses Rates, dass die Erde immer noch Atomkraftwerke betreibt, deren Materialien ohne fachgerechte Kühlung – die nun einmal Technik benötigt – im aktuellen Zustand noch viel zu gefährlich sind.“
Es kamen Entsetzenslaute aus dem Publikum. Beinahe jede Spezies hatte dereinst Kernspaltung genutzt. Und sie alle kannten die Planeten, bei denen dies zur Auslöschung alles Lebens geführt hatte. Jede Technologie war allerhöchstens so gut wie ihre Betreibenden – und oft genug machten Individuen nun einmal Fehler. Weshalb jeder Planet des Rates seine Energie nun aus völlig anderen, sichereren und nachhaltigeren Quellen bezog, die auf der Erde aber leider bisher noch nicht einmal theoretisch bekannt waren.
„Kommen wir zum dritten Antrag. Dieser sieht vor, die Menschen unter Quarantäne zu stellen. Sie ihre natürliche Entwicklung durchleben zu lassen, aber zumindest zu verhindern, dass sie andere Planeten und vielleicht sogar Gesellschaften mit ihrer Kultur anstecken. Dazu…“
Überall im Saal konnte man schnelle Schritte hören und bald auch spüren, die sich näherten. Dann rannte eine Botenperson in den Raum, die größer als beinahe alle anwesenden Spezies war und einige sogar mit einem einzigen, unbedachten Schritt zertreten konnte.
„Verzeihen Sie die Unterbrechung, doch das Amt für Außenbeobachtung hat neue Informationen, die vielleicht für diese Abstimmung nützlich sein können.“ Damit reichte die Botenperson dem Ziegendelfin ein weiteres Tablet, das dieser mit der Schnauze annahm und vor sich hin legte. Es wurde wirklich Zeit, dass die barriereärmeren Methoden ihr Softwareupdate bekamen. Aber Bürokratie war nun einmal keine Erfindung der Menschen, sondern plagte auch andere Spezies.
„Das ändert alles. Die Menschheit begeht heute den Tag der Natur, die sich ihren Weg bahnt. Sie feiert damit Pflanzen, die im urbanen Gebiet in Wegspalten und Ähnlichem wachsen. Und zur Feier des Tages haben sie verboten, diese zu entfernen, solange sie kein explizites Risiko darstellen.“
„Das verbessert das Stadtklima“, rief ein Ratsmitglied.
„Damit wird mehr Photosynthese stattfinden“, fügte ein anderes hinzu.
„Exakt. Dies könnte der Beginn einer positiven Entwicklung der Menschen sein. Sie scheinen begriffen zu haben, dass sie im Einklang mit ihrem Planeten und seiner Natur leben müssen, wenn sie noch eine Zukunft in ihrer natürlichen Entwicklung haben wollen. Ich stelle hiermit einen vierten Antrag: Wir vertragen die Diskussion um ein weiteres astronomisches Jahr und warten ab, wie sich die Lage auf der Erde verändert. In einem Jahr können wir immer noch darüber reden, ob die Menschheit es nicht von alleine schaffen kann, sich und ihre Mitspezies zu retten. Wer ist dafür?“ Der Ziegendelfin blickte in die Runde.
An allen Tischen wurden Knöpfe gedrückt oder mit Sprachsteuerung aktiviert. Und sie alle leuchteten rosa. Der vierte Antrag war angenommen.
Ein astronomisches Jahr also, bis die Menschheit wieder vor Gericht stehen würde, ohne es auch nur zu wissen. Ein Jahr, um bleibende Veränderungen zu schaffen. Ob sie es schaffen würde? Das konnte nur die Zeit zeigen.
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One thought on “[Kurzgeschichte] Die Abstimmung”
[…] habe ich diesen Monat noch eine SciFi-Kurzgeschichte geschrieben, die ihr hier findet, und ein bisschen […]
März 2023 – Britta Redweik