Heute ist wieder so ein Tag, wo ich alte Geschichten aus dem Familienadventskalender aufbereiten und für euch nutzen kann. Denn ganz ehrlich, aktuell bin ich immer noch ein bisschen ausgelutscht. Ich arbeite mich langsam mit dem Geheimprojekt voran – hier mal hundert Wörter, da mal hundert Wörter -, aber so richtig fließen tut es gerade nicht und kaum ein Tag geht vorbei, ohne dass ich irgendwas gegen schmerzende Hände tun muss.
Umso froher bin ich also, dass ich dennoch eine thematisch passende Geschichte für euch gefunden habe. Ich wünsche einen frohen Tag der Wildtiere.
CN: Essen (angedeutet), Insekten, Exkremente (erwähnt), Tod von Tieren
Es war einmal eine ruhige Nachbarschaft. Nun, sie mochte schon etwas überaltert gewesen sein, und sie war auch nicht so harmonisch, dass man gemeinsam Straßenfeste organisiert hätte. Aber es gab keine offenen Konflikte, man grüßte sich auf der Straße und von gelegentlichem Rasenmähen um 7 Uhr morgens an einem Samstag abgesehen, nahm man auch Rücksicht aufeinander.
Die Menschen, aber auch die Tiere und Pflanzen, lebten in Frieden und alle kümmerten sich um ihre jeweils eigenen Angelegenheiten.
Dann aber zogen neue Leute ein und der Frieden war vorbei.
Es fing ganz harmlos an. Eine Grillparty, die bis 11 Uhr nachts dauerte? Ja, da kann man mal drüber hinwegsehen. Feiern mit so vielen Personen und sogar Musik, und das im Freien, das kannte die Nachbarschaft zwar bisher gar nicht, aber wegen einer kleinen Neuerung gleich Streit anfangen? Nein. Da konnte man noch mal beide Augen zudrücken.
Dass die Tiere schon darunter litten und in ihren Hecken und Bäumen keine Ruhe fanden, und die Vibrationen im Boden den Würmern und Maulwürfen Kopfschmerzen machte, das konnte die Nachbarschaft ja nicht wissen.
Aus einer Grillparty wurden schnell zwei, dann drei. Bald fand mindestens einmal die Woche eine statt und immer öfter gingen sie bis tief in die Nacht.
Die Menschen überlegten langsam, ob man nicht doch einmal mit den neuen Leuten reden sollte. Aber was, wenn die größer und stärker und gar nicht so nett waren? Und die Polizei anrufen? Aber dann müsste man ja vom Schlafanzug wieder in was wechseln, worin man auch vorzeigbar war. Und bestimmt gab das Papierkram. Und wenn die neuen Nachbarn ausgerechnet dann ihre Feier beendeten und ins Bett gingen, wenn die Polizei unterwegs war? Musste man dann nicht den Einsatz zahlen? Und ganz vielleicht vertraute man der Polizei auch aus verschiedenen Gründen nicht mehr so recht.
Und überhaupt, die Feiernden hörten immerhin nur Classic Rock und ohne aufgedrehte Bässe. Eigentlich ganz schöne Musik. Wenn es nur nicht 2 Uhr nachts wäre.
So litten die Menschen weiter still vor sich hin. Ihr Frieden in der Nachbarschaft war ihnen einfach wichtiger – oder sie zu feige.
Die Pflanzen aber zeigten schon die ersten Anzeichen, dass ihnen die ständige Belastung gar nicht gefiel, und die Regenwürmer wurden immer träger und wollten nicht mehr so wirklich im Kompost arbeiten. Sie holten lieber am Tag ihren verlorenen Schlaf nach.
Aber es kam noch schlimmer: Eines Nachts kamen die Bässe. Und die Menschen stellten fest, dass die neuen Nachbarn sich bisher nur zurückgehalten hatten. Ihre Musikanlagen waren offenbar deutlich lauter als alles, was in der Nachbarschaft sonst existierte – und in dieser Nacht wurden sie bis zum Anschlag aufgedreht, sicherlich doppelt so laut wie je zuvor.
Und die Menschen? Sie litten. Sie jammerten. Sie lästerten. Aber sie mussten sich eingestehen, dass sie viel zu sehr Angst vor Konfrontationen hatten. Und zu lange hatten sie zugesehen, wie die neuen Nachbarn die Grenzen immer wieder verschoben, sich immer mehr herausnahmen. Es war zu spät, sie hatten ein Monster erschaffen, dem zu stellen sie sich nicht trauten.
Die Tiere aber hatten endgültig genug. Wie hatten sie auch glauben können, dass die Menschen ihnen je helfen würden? Die Idee, in der eigenen Spezies für Benehmen zu sorgen, war diesen fast haarlosen Zweibeinern offenbar fremd.
Na gut, dann würden sie es selbst erledigen.
Die Stare stärkten sich an allem, was die Gärten so hergaben, und machten den lauten Menschen allerlei unbeliebte Geschenke – was die Pflanzen freute, ist Vogelkot doch ein Dünger.
Die Ameisen sammelten ihre Herden und scheuchten geschlossen alle Blattläuse der Nachbarschaft zu den lauten Menschen. Rache war ihnen wichtiger als ihre eigene Ernte.
Doch die beste Idee kam von den Maulwürfen und Wühlmäusen. Für Lärm brauchten Menschen doch diese Kabel, die weh taten oder gar töteten, wenn man darauf biss, richtig?
Sie zogen Grashalme, wer sich würde opfern müssen. Dann schickten sie diese baldigen Helden aus, die Kabel zu zerbeißen.
Gerade, als sie hörten, wie die lauten Menschen in ihrem Garten wieder alles für eine weitere Feier vorbereiteten, schlugen sie zu.
Und es blieb still.
Aber Menschen reparierten die Kabel schnell.
Beim ersten Mal.
Und beim zweiten Mal.
Auch noch beim Dritten.
Aber während Maulwürfe nur wenige sind, werden Wühlmäuse so schnell mehr, dass sie immer genug Nachkommen hatten, um jedes Mal wieder das Kabel zu zerbeißen, wenn die Menschen wieder laut werden wollten. Und immer nur dann. Wenn sie nur brav in ihren Häusern blieben, wie all ihre Nachbarn, wurden sie mit funktionierendem Strom belohnt.
Nun, es wäre gelogen, zu behaupten, dass Menschen lernfähig sind. Stattdessen glaubten die lauten Nachbarn nur, dass jemand sie sabotieren würde. Oder vielleicht, dass es spukte. Oder das Haus einfach zu alt war, und neue Leitungen brauchen würde – ein Aufwand, den sie sich nicht antun wollten.
Statt zu lernen, Rücksicht auf andere zu nehmen, zogen sie einfach um.
Aber das reichte, um in der Nachbarschaft wieder Frieden einkehren zu lassen. Nun konnte man sich wieder über frühes, aber völlig legales Rasenmähen ärgern.
Und zum Glück tratschen Wühlmäuse viel. Es besteht also eine gute Chance, dass die neue Nachbarschaft der lauten Menschen nicht so wird leiden müssen, wie es diese tat.
Also, liebe Leute. Seid nett zu den Wildtieren in euren Gärten. Ihr wisst nicht, wann ihr sie mal braucht, weil ihr selbst zu feige seid, um zu handeln.
Euch gefiel, was ihr gelesen habt? Ihr habt Geld übrig und keine Ahnung, was ihr damit anfangen sollt? Wenn ihr mögt, gebt mir gern bei Ko-Fi einen Kaffee aus.
One thought on “[Kurzgeschichte] Von unter der Erde”
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Februar 2024 – Britta Redweik