[Kurzgeschichte] Eine Frage des Blutes

Heute könnte man meinen, das wäre eine Halloween-Geschichte. Und ja, tatsächlich spielt sie an Halloween, und ich werde auch keine gesonderte Geschichte am 31. posten. Aber auch heute ist schon ein passender Tag dafür.

CN: Blut, Essen

Seufzend griff der Nekromant nach seinem Messer. Ein Messer, das sonst ganz andere Dinge schnitt. Seine Haut, vor allem, um mit seinem Blut die Dinge zu tränken, die er mit Magie versehen wollte. Aber auch fremde Haut, fremde Knochen, Sehnen. Heute aber musste er sich um etwas anderes kümmern, es wurde langsam Zeit, wenn er nicht wollte, dass die Nachbarn ihm wieder schiefe Blicke zuwerfen würden.

Auch heute schnitt das Messer durch Haut. Und dann durch Fleisch, bis hin zu den Samen. Dann folgte ein Löffel, der die samigen Eingeweide durchwühlte, vom Fleisch schabte und letztlich in den Mülleimer beförderte.

Dann setzte er das Messer wieder an. Während er normalerweise damit Augen herausschnitt, kreierte er sie heute neu, erschuf Augenhöhlen, aus denen später warmes Licht scheinen sollte.

Auch einen Mund gestaltete er, eine Fratze mit spitzen Zähnen und hämischem Lächeln. Dass er einmal damit mit dem Messer abrutschte – einen winzigen Schnitt in seinen eigenen Daumen der anderen Hand setzte, der gerade einen orangenen Zahn festhielt, damit er unter dem Druck des Messers nicht abbrach -, beachtete er zunächst nicht weiter.

Bis sich die Fratze vor ihm weiter verzog, nach ihm schnappte. “Wirst du wohl deine Finger aus meinem Mund lassen?”, fragte eine merkwürdig hohl klingende Stimme. “Oder bist du etwa mein Zahnarzt?”

Der Nekromant starrte den Kürbis vor sich an.

“Was glotzt’n du so?”, fragte dieser und schaute aus leeren Augenhöhlen zurück. 

Erst jetzt fiel dem Nekromanten der Tropfen Blut auf, der aufs verbliebene Fruchtfleisch gefallen war. Es war schon fast nicht mehr zu sehen, sickerte in den Kürbis. Blut eines Mannes, der es gewohnt war, Totes zum Leben zu erwecken.

Wer hatte gedacht, dass das auch mit abgeschnittenen Kürbissen funktionierte?

Zu seiner Erleichterung schien der Kürbis nur Kontrolle über Mund und Augenhöhlen zu haben. Bewegen konnte er sich wohl nicht. Aber Sprüche hatte er drauf, da wurden selbst die Ohren des Nekromanten rot vor Scham – und wer mit Toten zu tun hatte, bekam einiges zu sehen und zu hören.

Aber das brachte ihn auf eine Idee… 

Mit dem Kürbis, der zotige Witze erzählte, Leute beleidigte und das eine oder andere Trinklied grölte, trauten sich die Kinder nicht ans Haus des Nekromanten heran – und die ganz Mutigen wurden von ihren Eltern schnell weitergezogen, bloß weg von der Möglichkeit, den eigenen Schimpfwortwortschatz zu sehr zu erweitern.

Zum ersten Mal, seit er in diese Nachbarschaft gezogen war, hatte der Nekromant ein entspanntes Halloween. Niemand klingelte, niemand wollte ihm seine Süßigkeiten abnehmen. Er kuschelte sich vor seinem Fernseher ein, machte sich einen Zombiefilm an und knabberte an einem Schokoriegel. Ja, so konnte auch er Halloween genießen.

Am nächsten Morgen war der Zauber verflogen. Ein einziger Tropfen Blut reichte eben nicht ewig. Aber jetzt wusste der Nekromant ja, wie es ging. Und er hatte vor, sich das zu merken. Vielleicht konnte daraus ja sogar ein Geschäft entstehen?

Ja, das klang gut, befand er, steckte sich den letzten Schokoriegel in den Mund und ging dann hinaus in den Garten, um den nächsten Kürbis zu ernten. Als Übungsmaterial – und, nach Abflauen der Magie, als Suppe.


Und damit wünsche ich euch einen schönen Pumpkin Day – auch, wenn der bisher nur in den USA gefeiert wird.

Wie immer gilt, falls euch gefiel, was ihr gelesen habt, und ihr Geld übrig habt, bei dem ihr partout nicht wisst, wie ihr es los werden sollt, gebt mir gern einen Kaffee aus. Ansonsten teilt die Geschichte gern. (Denn bei der VG Wort kann man, mit Glück, auch für echte Personen, die die Seite lesen, bezahlt werden.)

 

One thought on “[Kurzgeschichte] Eine Frage des Blutes

  1. […] 4.000 Wörter flossen in den familieninternen Adventskalender, ein Geheimprojekt und natürlich die monatliche Kurzgeschichte – für die ich glatt vergessen hatte, zu werben, als sie rauskam. Aber hey, sie taugt auch […]

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