Das Plüschtier der (aufgerundet) tausend Abenteuer – 11

Du kommst von hier

Du entscheidest dich für etwas Düsteres. Verbrechen, Gefahr, Nervenkitzel. Manchmal magst du das ganz gern und es wirkt sogar entspannend auf dich. Und zu deinem Glück hast du mit diesem Geschmack wirklich mehr als genug Auswahl, sogar, ohne eine Streamingplattform aufrufen zu müssen. Selten kommen weniger als drei Krimis oder Thriller gleichzeitig, zumindest abends. Entsprechend fällt es dir nicht schwer, etwas zu finden, was dich interessiert. 

Nachdem der Täter endlich gefunden worden war und du mit Zufriedenheit feststellst, dass du richtig geraten hast, gehst du ins Bett. Der Tag war lang und aufregend genug, dass du selbst so früh schon müde genug bist, um schnell einzuschlafen. 

Ein Geräusch lässt dich aufwachen. Als wäre Metall an etwas gestoßen. Vielleicht ist im Wind nur irgendetwas bei den Nachbar*innen umgefallen. Balkone, Terrassenumrandungen und Treppengeländer waren oft genug aus Metall, so, dass selbst ein kleiner Blumentopf, der im Wind etwas geschaukelt hat und dabei an ein Geländer stieß, schon einen ziemlichen Lärm machen konnte. Besonders, wenn die Ohren nachts empfindlicher waren. 

Trotzdem öffnest du kurz ein Auge, um zu schauen, ob nicht doch irgendwas bei dir selbst passiert war. Vielleicht hast du irgendetwas nicht ganz stabil hingestellt, so, dass es jetzt umgefallen ist? 

Das Mondlicht fällt durch einen kleinen Spalt in deinem Rollo und lässt die Schneide eines Messers glänzen. Ein Messer, dass in der Pfote deines Teddys ist. Des Teddys, der gerade auf deiner Brust sitzt und das Messer schnell deiner Kehle entgegen bewegt. 

Mit einem Schrei wachst du auf. Diesmal wirklich? Du bist dir nicht sicher und kneifst dich. Autsch! Ja, offenbar bist du nun wirklich aufgewacht. Unwillkürlich wandert deine Hand nun an deine Kehle, wo du glaubst, gerade noch ein Messer gefühlt zu haben. Deine Hand ertastet Nässe. Im fahlen Mondlicht kannst du sehen, dass deine Fingerspitze nicht etwa Schweiß erfühlt hat, sondern ein roter Tropfen deine Haut benetzt. Mit einem Satz bist du aus dem Bett und machst das Licht an. Zuerst schaust du dich um, doch es ist kein Teddy im Raum. Also gehst du zum Spiegel, um zu sehen, woher das Blut kommt. Du siehst nur einen Mückenstich, an dem du im Schlaf offenbar herumgekratzt hast. 

Du lachst über das, was dein Hirn aus Mückenstich und Kratzen gemacht hat, aber dein Lachen ist nicht wirklich ehrlich, nicht erleichtert, sondern nervös. Und als du dich wieder ins Bett legst, brauchst du lange, um wieder einzuschlafen. Du schaust dich wieder und wieder um, ob der Teddy wirklich nicht hier ist. “Morgen kommt der weg”, murmelst du zu dir selbst und beschließt, ihn wieder loszuwerden. Sammelt das rote Kreuz nicht auch Spielzeug für Flüchtlingskinder? Oder Kinderstationen in Krankenhäusern? Kindergärten? Ja, morgen wirst du ihn wieder los. Zufrieden mit deiner Entscheidung schläfst du wieder ein. 

Aber als du am Morgen aufwachst, ist der Teddy schon weg und du weißt nicht, ob du nur geträumt hast, ihn überhaupt gekauft zu haben, oder ob er dich hörte. Deine Fantasie fragt sich, ob er dachte, du würdest Krimis und Thriller deswegen mögen, weil du dich nach Gefahr sehnst. Ob der Traum real war und er dir nur Angst machen wollte, weil er glaubte, du würdest das mögen – und dich dann gehört hat. Ob er – ungeliebt und alleine – selbst auf die Suche nach jemanden gegangen ist, di*er ihn lieben und schätzen kann. Du lachst über diese Überlegung. Aber wieder ist dein Lachen nur halbherzig. Keine der Alternativen gefällt dir. Nur gibt es jetzt nichts mehr, was du tun kannst. Und wo der Teddy hin ist, ob er jemals hier war, wirst du nicht mehr erfahren können. 

 

ENDE