[Kurzgeschichte] Kommunale Gesetzgebung

Ist euch auch einfach zu warm? Ich habe die Tage schon auf Bluesky gesagt, wenn ich jemals einen Bösewicht schreiben werde, dann wird dessen Origin Story, dass die kommunalen Hitzeschutzpläne seines Wohnorts scheiße sind, und er sich mit den Leid des Sommers alleingelassen fühlt.

Da fiel mir ein, dass ich tatsächlich für den Familienadventskalender 2023 eine Geschichte über einen Hitzeschutzplan (im weitesten Sinne) geschrieben und die hier noch nicht gepostet habe. Ich nehme nicht an, dass das Thema je in einer Ausschreibung gefragt sein wird, und wir alle verdienen gerade etwas Hoffnung auf bessere Zeiten, also…

Genre: Climate Science-Fantasy(?)

CN: Klimawandel

„Kommen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt. Als eine Gemeinde mit mehr als zehntausend Einwohner*innen sind wir verpflichtet, einen kommunalen Hitzeplan zu erstellen. Hat da irgendjemand erste Ideen?“

Der Bürgermeister blickte sich um, doch der ganze Gemeinderat schaute teils nachdenklich, teils betreten auf die jeweilige Aufstellung der heutigen Tagesordnung. Im Gegensatz zu ihm waren die meisten von ihnen weit über 60 und hatten eigentlich gehofft, dass Themen wie Klimawandel sie nicht mehr betreffen würde. Also zumindest nicht weiter, als dass ihr Rheuma dank der oft bis in den Winter hohen Temperaturen seltener schmerzte. Aber das dicke Ende, das, wo man wirklich Maßnahmen brauchte, das war doch eher was für diese Schulkinder, die freitags unbedingt immer zwei oder drei Stunden schwänzen mussten. Immerhin waren sie diejenigen, die davon betroffen waren. Sollten sie doch Vorkehrungen treffen.

Jetzt doch schon in der Pflicht zu sein, überforderte viele hier sichtlich.

„Also gut, machen wir erstmal eine kleine Kaffeepause. Die haben wir uns alle verdient und frisch gestärkt lässt es sich besser nachdenken“, entschied der Bürgermeister also, mehr aus Verzweiflung als alles andere. Wobei, die Kekse, die heute auf dem Tisch standen, schon auch verführerisch aussahen.

Und so entsponnen sich bald einige private Gespräche am Tisch, während die einen Kaffee, Tee oder Wasser tranken, und die anderen die Pause nutzten, um in Ruhe austreten zu gehen.

Der Bürgermeister knabberte an seinem Keks und hörte unbeteiligt zu, wie Frau Jäger von ihrem neuesten Strickprojekt erzählte, an dem sie in den Sitzungen gerade arbeitete. Wie Herr Gruber darüber klagte, dass sein Dackel in die Jahre kam und sich die Tierarztrechnungen langsam stapelten.

Frau Freiberger wiederum hatte mit Herrn Ramirez ein neues Opfer gefunden. Sie war ein Quell unnützen Wissens und liebte es, darüber in aller Breite zu reden: „Wussten sie, dass es Orte gibt, in denen es verboten ist, zu sterben? Einfach, weil die Friedhöfe überfüllt sind und kein Platz für neue Gräber existiert?“

Aus irgendeinem Grund brachte genau das den Bürgermeister zum Nachdenken.

***

Sicher würden die anderen Gemeinden sie belächeln, aber schließlich stand in ihrem Hitzeplan, neben den obligatorischen neuen Bäumen am Straßenrand, die ja doch im nächsten Jahrhundertsommer wieder sterben würden, eine kleine, feine Änderung der regionalen Gesetze: Es war bei hohen Geldstrafen verboten, dass sich die Temperatur im Sommer außerhalb eines Rahmens von 15 bis 30 Grad tagsüber und 10 bis 17 Grad nachts bewegte. Außerdem wurde natürlich Dürre genauso verboten, wie Starkregen, der Überschwemmungen verursachte, und Hagelkörner, die bei Kontakt mit anderer Materie einen Durchmesser von zwei Millimetern überschritten.

Sie waren so im Rausch ihrer neuen Idee, dass sie auch gleich einen Kälteplan entwarfen – im Winter keine Temperaturen unter minus 10, und auch die nur auf eine maximale Anzahl Stunden begrenzt, aber eine Pflichtzahl Schneetage für die Kinder -, sowie Regeln für die Übergangszeiten.

***

„Das war damals eine gute Idee von dir, Opa. Das Wetter hält sich ja sogar daran.“

Der ehemalige Bürgermeister lächelte seine Enkelin sanft an. „Naja, nicht wirklich. Weißt du, wir dachten, Geldstrafen wären eine gute Abschreckung. Aber es stellte sich heraus, dass Wettergottheiten nicht nur allmächtig sind, sondern so auch über unendlich viel Geld verfügen. Sie haben einfach ihre Strafen bezahlt und weiter gemacht, wie bisher.“

„Aber warum sind wir dann immer noch hier und können sogar angenehmer leben als in deiner Zeit?“

„Nun, innerhalb einer Woche war der kommunale Haushalt durch die vielen Geldstrafen saniert und die Gemeinde hatte endlich die Mittel, zu investieren. Wir haben Gebäude saniert, überall Solarpanels nachgerüstet, Wärme- und Kältepumpen gebaut. Wir haben unsere Kläranlagen und Mülldeponien so umbauen können, dass der Zeit- und Kostendruck keine Rolle mehr spielte, und wir so saubereres Wasser und einen höheren Grad an Recycling und Kompostierung erreicht. Wir konnten in Hochwasserschutz genauso investieren, wie in Schutz vor Dürre, mit mehr Beschattung, um die Bodentemperatur und Verdunstung zu reduzieren. Und wir haben die Unternehmen in unserer Kommune darin subventioniert, ihre Produktion nachhaltiger zu gestalten. Schließlich haben dann andere Kommunen, und schließlich sogar ganze Länder gehört, was wir hier gemacht haben. Plötzlich war Geld kein Problem mehr, und damit stand der Investition in nachhaltige Maßnahmen nichts mehr im Wege, nirgendwo auf dem Planeten.“

„Aber all das macht doch das Wetter nicht besser.“

„Das Wetter vielleicht nicht, aber das Klima. Also, wir konnten den Klimawandel bisher natürlich noch nicht zurückfahren. Wir forschen zwar, ob das mit neuerer Technik nicht auch möglich sein könnte, aber soweit sind wir noch nicht. Trotzdem konnten wir ihn zumindest aufhalten, und haben Methoden geschaffen, wie wir es mit den Gegebenheiten besser aushalten können. Wir haben genug Strom, um unsere Häuser umweltfreundlich zu klimatisieren. Wir haben stabilere Ökosysteme, damit uns in einem warmen Sommer keine Ernteeinbrüche bedrohen.“ Der Bürgermeister schaute zum Thermometer und lächelte. Es war gerade von 29,9 auf 30,1 Grad gestiegen. „Und wir haben weiter eine Einnahmequelle, die finanziert, dass wir daran forschen können, in all dem noch viel besser zu werden.“ Er rieb sich verschmitzt die Hände, dann stand er auf und schaute seine Enkelin auffordernd an. „Komm, gehen wir in das herrliche Freibad, dessen Betrieb eine der Sonnengottheiten gerade eben für ein weiteres Jahrzehnt finanziert hat.“ Ja, es war nicht perfekt. Aber so ließ es sich eindeutig aushalten.

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