Anders oder nicht anders? Oder zu anders?

Wie anders darf ein Autor eigentlich sein? Wie sehr darf sich das auf sein Buch auswirken?

Diese Gedanken schießen mir gerade durch den Kopf. Der Auslöser? Eine liebe Person hat sich bereiterklärt, mein Buch zu lektorieren. Und irgendwie stoßen wir da an Barrieren, an denen keine von uns beiden Schuld ist. Die aber doch Fragen aufwerfen.

Ich weiß nicht genau, ob ich Autistin bin. Seien wir ehrlich, Selbsttests im Internet können völlig falsch liegen. Und auch Hausärzte und Therapeuten, die einen ansprechen „Also, Sie scheinen mir auf dem Spektrum zu liegen“, haben letztlich nicht die Qualifikation, eine Diagnose zu stellen. Es bleiben nur Spezialisten. Und der Weg zu ihnen ist schwer und kostet Kraft. Es fängt schon damit an, dass man widersprüchliche Informationen findet, wer den Test anbietet. Einmal hatte ich sogar schon einen Termin, hatte extra am Telefon gesagt, WAS ich brauche. Ich saß mehrere Stunden im Wartezimmer, dann wurde mir am Empfangstresen gesagt, ich könne nach Hause. Da ich jetzt seit ein paar Wochen über 18 sei, könne man mich nicht mehr testen. Nicht in der Praxis. Dass man mir das am Telefon oder wenigstens bei der Anmeldung hätte sagen können, ist wohl zu viel verlangt.

Wegen der Erfahrung hab ich mich auch 11 Jahre später noch nicht getraut. Meine Krankheiten sind schlimmer geworden und ich kann einfach nicht mehrere Monate im Voraus wissen, wie meine Tagesform ist. Ob ich die lange Strecke, die Wartezeit und angeblich mehrere Stunden Test überstehe.

Daher bin ich noch ohne Diagnose. Weiß nicht genau, was bei mir im Kopf anders tickt. Ich weiß nur, dass es das tut. Ich denke anders, fühle anders, verarbeite Reize anders.

Das wirkt sich auch auf mein Schreiben aus. Denn ich habe nur deshalb wieder angefangen zu schreiben, weil ich einfach kein Buch fand, das wirklich für mich ist. Nicht in der Repräsentanz meiner Eigenheiten, das brauche ich nicht mal. Aber mir fiel über die Jahre mehr und mehr auf, dass mich die Bücher auch kognitiv nicht richtig erreichten. Noch heute fällt es mir schwer, in Worte zu fassen, was bei mir anders ist. Was ich Anderes brauche. Zumal das immer ein Spiel von Nuancen ist. Es gibt viele Bücher, die ich liebe. Aber doch war noch nie eines perfekt.

Ich weiß:

  • Ich kann mir weder Orte noch Menschen vor Augen rufen. Ich sehe beim Lesen nicht, und das, obwohl ich sonst durchaus ein ziemlich aktives Kopfkino habe, manchmal sogar Reize wie Wärme oder Schmerz nur durch Vorstellung triggern kann. Aber mit Büchern klappt es nicht, weshalb mich lange Beschreibungen von Aussehen und Geräuschen im besten Fall kalt lassen, im schlimmsten sogar verärgern und verletzen. (Aber nur, wenn die Geschichte fast völlig auf dieses Oberflächliche aufbaut und mich damit komplett ausschließt, wie es in einigen Romanzen der Fall ist.)
  • Dass ich es verwirrend finde, wenn Charaktere zu ‚viel‘ sind. Gibt es wirklich Menschen, die mehrere Dutzend Stärken und Schwächen haben und sich die alle innerhalb weniger Tage auch so oft ansehen lassen oder selbst bei sich bemerken? Gibt es wirklich Menschen, die Dutzende Hobbies und auch ständig neben dem Abenteuer noch Zeit und Kraft dafür haben? So etwas wirkt für mich fremd, unrealistisch und überfordernd.
  • Ich komme mit den gängigen Regeln nicht klar. Kein Infodump. Show, don’t tell. All das macht es mir viel schwerer, mit der Geschichte mitzuhalten. Wenn man die Gefühle von Charakteren aus deren Handlungen heraus, oder durch ‚erlebte‘ Körpersprache deuten soll, ist das für mich schwer. Weil ich eben anders denke und Körpersprache kaum deuten kann. Wenn der Autor nicht lange umschreibt, sondern entweder einfach erzählt, oder wenigstens durch Introspektion den Charakter darlegen lässt, warum er jetzt was macht, komme ich damit viel besser klar. Andernfalls passiert es mir leider oft, dass ich Handlungen oder Gefühle nicht nachvollziehen kann. Und ohne ausreichend Informationen möglichst weit zum Anfang fehlt mir nur NOCH mehr, was ich als Deutungsrahmen nutzen könnte.

 

Deshalb bin ich zum Schreiben gekommen. Weil ich kein Buch fand, das mich voll und ganz anspricht und mir das Lesen und Genießen leicht macht. Was nach meinen Denkmustern funktioniert.

Ich wusste, dass nur wenige so sind wie ich. Selbst WENN sich herausstellt, dass ich wirklich Autistin bin, ist das ein riesiges Spektrum und jeder Autist ist irgendwie anders. Und wenn ich keine Autistin bin? Vielleicht gibt es dann noch weniger, die meine Denkmuster so sehr teilen, dass ihnen mein Buch gefällt, ihnen das Lesen ermöglicht.

Deshalb hab ich mir über mehrere Testleserrunden hinweg die Hinweise zu Herzen genommen und versucht, mein Buch etwas denen zu öffnen, die anders sind als ich. So sehr, dass ich schon am Anfang das Gefühl hatte, dass ich das, was mich ausmacht, fast verloren habe. So viel, was mir wichtig war, wurde kritisiert und musste weg. Nicht, weil einer es angemerkt hat. Aber wenn ALLE sich da einig waren, war das doch ein Zeichen, dass das Buch viele Leute ausschloss oder abstieß.

Und dann hab ich mich ans Lektorat getraut. Und … Bitte, dies ist KEINE Beschwerde über meine Lektorin. Ich hab sie sehr gern und sie warf Punkte auf, bei denen sie ja letztlich Recht hat.

Nur: Wenn ich so schreibe, wie ich es brauche und will, wie soll ich dann andere Menschen dazu kriegen, es zu lesen? Sie haben doch eine unglaubliche Auswahl an Werken, die für sie leichter zugänglich sind.

Aber wenn ich nur für Leute wie mich schreibe, wie viele Bücher kann ich dann verkaufen? Und wie viele Leute, die eben nicht wie ich sind, werden dann schlechte Rezensionen hinterlassen, weil sie nicht begreifen, dass das keine stilistischen Fehler sind, nur, weil es nicht den gängigen Regeln widerspricht. Dass vielmehr die gängigen Regeln mit ihrer Verdrängung alles Anderen ableistisch sind. Weil sie erst dazu führen, dass Leute wie ich keine Bücher finden, die für sie passen.

Soll ich einen Mittelweg suchen? Aber im schlimmsten Fall ist es dann kein Buch mehr für mich – aber auch noch nicht normal genug, für die Menschen, die eh schon Bücher finden, mit denen sie zurecht kommen. Wie weit kann ich mich und mein Buch verbiegen, ohne zu verlieren, wofür ich es erst schrieb?

Und wisst ihr, was mich dabei am meisten … naja, nicht ärgert, aber verwirrt? In der Buchblase gibt es mehr und mehr Rufe nach Diversity. Nach OwnVoices auch noch.

Aber wo ist denn diese Bereitschaft, die Bücher dann auch zu lesen? Das habe ich schon bei meiner Biografie gemerkt. Twittert man, dass man über das Leben mit Behinderung schreibt, liken das viele, einige schreiben auch, dass es Zeit wäre, dass das endlich mal wer macht. Man bekommt Lob und guten Zuspruch.

Beim Teilen hört es dann schon auf. In die Welt hinaustragen, dass eine OwnVoice-Biografie herauskommen soll oder schon draußen ist? Nein. Und ich glaube, bis heute hat keiner, den ich auf Twitter Freund nennen würde, auch nur mal geschaut, ob er das Buch nicht irgendwo auf seinen SUB stellen will. Nicht mal irgendwo ganz zu unterst. Dabei ist das sogar kostenlos. Selbst, wenn man feststellt, dass man meinen Schreibstil nicht mag, hat man nur die paar investierten Minuten verloren. Keinen einzigen Cent.

Wenn also schon ein offenes OwnVoice, dass einem kostenlos hinterher geworfen wird, ignoriert wird, während man weiter lärmt, dass es zu wenig OwnVoice gibt …

Wie wird dann erst mein Roman aufgenommen? Wer investiert schon die Kraft, diese fremde Art zu denken zu erkunden, wenn ich nicht einmal OwnVoice dranschreiben kann? Denn … es mag sein, dass mein Protagonist seinerseits auch nicht neurotypisch ist. Aber benennen kann ich es nicht.

Wer macht sich die Arbeit, sich durch eine fremde Art zu erzählen, zu kämpfen, wenn er dann nicht mal hinterher großmütig erzählen kann, wie mutig er sich daran gemacht hat und wie tolerant er dann doch ist?

Ich muss das jeden Tag machen. Ich muss mich jeden Tag damit herumschlagen, dass kein Buch so geschrieben ist, wie es für mich am Besten, am Zugänglichsten und Interessantesten wäre. Aber ich bin halt auch nicht normal. Von mir erwartet die Gesellschaft immer, dass ich mich anpasse. Dass ich mehr Kraft investiere, um mir Zugang zu erkämpfen.

Und jetzt? Jetzt muss ich überlegen, ob ich wieder der Gesellschaft nachgebe, um meine Zielgruppe von vielleicht Null auf immerhin ein paar mehr zu vergrößern. Oder, ob ich ich selbst bleibe, meine Schreibart, meine Denkart mutig und stolz präsentiere – und keiner sich die Zeit und Kraft nimmt, sich hineinzufuchsen.

Ist mir Karriere wichtiger, oder ich selbst und Gleichberechtigung und Verständigung zwischen Menschen, die wie ich sind, und denen, die es nicht sind.

Und ich muss zugeben, dass ich es einfach nicht weiß. Und, dass mich das gerade wieder ein bisschen aus der Bahn wirft. Denn … es bleibt dabei, meine Lektorin hat voll und ganz recht. Ich kann nicht darauf vertrauen, dass jemand, der anfangs Probleme mit dem Zugang in meine Welt hat, dann auch weiterliest. Denn im Gegensatz zu mir haben die die Wahl.

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